Essen. Anja Kruse spielt in ihrer Geburtsstadt Essen am Rathaus-Theater. Für die Mentalität und Mundart der alten Heimat hat sie bis heute viel übrig.
Sie war das die „schöne Wilhelmine“, die Herzdame im „Forsthaus Falkenau“ und das Kindermädchen von Prof. Brinkmann in der „Schwarzwaldklinik“. Jahrzehntelang gehörte die gebürtige Essenerin Anja Kruse zu den meistbeschäftigten und beliebtesten TV-Darstellerinnen. Inzwischen ist die Schauspielerin, die an der Essener Folkwang-Hochschule studiert hat, auch wieder ans Theater zurückgekehrt. Im Rathaus-Theater kann man die 63-Jährige derzeit in der Komödie „Kennst du mich noch?“ als Ehefrau erleben, die ihr maues Liebesleben mit einem Phantom-Liebhaber auffrischt. Für Anja Kruse ist das Essener Gastspiel eine willkommene Gelegenheit, alte Freude zu treffen und endlich mal wieder Ruhrpott-Slang zu sprechen, verrät sie Martina Schürmann im Interview.
Frau Kruse, Sie stammen aus Essen, spielen gerade im Rathaus-Theater. Ist das immer noch wie nach Hause kommen?
Das Heimatgefühl ist immer wieder da. Auch wenn es das Rathaus-Theater zu meiner Kindheit ja noch gar nicht gab. Ein bisschen wehmütig werde ich vor allem, wenn ich am Grillo-Theater vorbeikomme. In meiner Jugendzeit habe ich dort mit meinem Eltern im Abo regelmäßig Theater gesehen.
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Welche Orte besuchen Sie als erste, gibt es eine Heimkehr-Routine?
Es gibt viele Plätze, die Teil meiner Kindheit gewesen sind, wie der Baldeneysee. Und natürlich gehören Werden und die Folkwang-Uni dazu, wo ich studiert habe. Das ist für mich immer noch wie ein Paralleluniversum, in dem ich drei ganz besondere Jahre verbracht habe. Das war eine eigene Welt, in die man eingetaucht ist und nichts anderes gemacht hat. Wunderbar!
Anja Kruse: „Kumpel Anton hat mich durch meine Kindheit begleitet“
Sie leben heute in Südfrankreich und Salzburg. Haben Sie sich trotzdem etwas von der Ruhrgebietsmentalität erhalten?
Auf jeden Fall. Und wenn ich ein paar Tage im Pott bin, dann rede ich auch wieder so. Dabei durfte ich das als Kind zu Hause eigentlich gar nicht, weil meine Mutter aus Hannover kam und den Ruhrpott-Slang nicht so gerne mochte. Nur am Samstagmorgen wurde eine Ausnahme gemacht. Dann war ich als junges Mädchen mit Theater-Ambitionen dazu engagiert, die Kumpel-Anton-Kolumne aus der WAZ mit der richtigen Betonung vorzulesen. Anton hat mich durch meine ganze Kindheit begleitet, ich habe ihn geliebt.
„Ich bin nicht arrogant, im Gegenteil, ich bin eher verhalten“
Kino und Kochbuch
Anja Kruse kam 1956 in Essen zur Welt und studierte an der Folkwang-Hochschule.
Für ihre Rolle im TV-Mehrteiler „Die schöne Wilhelmine“ bekam sie 1984 die Goldene Kamera. Es folgten zahllose TV-Auftritte in Fernsehfilmen und Serien. Derzeit ist Anja Kruse im Kino in „A Rose in Winter“ über die Philosophin Edith Stein zu sehen. Zuletzt ist von ihr ein Kochbuch „Voll im Leben“ erschienen.
Die Komödie „Kennst du mich noch?“ ist bis zum 12. Januar im Rathaus-Theater zu sehen. Tickets unter Tel. 0201-24555 55 und www.theater-im-rathaus.de
Man sagt, der Ruhrgebietsmensch hat manchmal Probleme mit seinem Selbstbewusstsein und trägt den Pelz gerne nach innen. Haben Sie mit Ihrer Ruhrgebiets-Identität jemals gehadert?
Nie, ich war immer ein Ruhrpottmädchen und bin auch stolz darauf. Ich mag auch diese Mentalität, lieber mal auf dem Teppich zu bleiben und seine Erfolge nicht so raushängen zu lassen. Ich habe jedenfalls nie einen Höhenflug bekommen. Auch wenn die Leute immer mal wieder sagen: Ach, die Kruse, die ist so arrogant! Im Gegenteil, ich bin auch eher verhalten und ein bisschen schüchtern und geh mit meinen Filmen und Preisen nicht dauernd hausieren. Ich habe einfach viel Glück gehabt. Aber ich habe mich auch reingehängt und viel gearbeitet.
Sie haben schon jung an großen deutschen Theatern von Hamburg bis Münster gearbeitet, bevor die „schöne Wilhelmine“ Sie 1984 zum Fernsehstar gemacht hat. Haben Sie seither noch mal mit dem Gedanken gespielt, sich fest an ein Haus zu binden?
Ehrlich gesagt, ich habe oft darüber nachgedacht. Denn dass ich am Theater arbeiten wollte, das stand für mich eigentlich immer fest. Ich verfolge das aber nicht intensiv, weil es relativ unrealistisch ist. Aber wenn mich heute ein Intendant fragen würde, und es wäre nicht nicht gerade eine Provinzbühne: ich glaube, ich würde es machen.
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„Die rotzige Trockenheit des Ruhrpottmädchens passt gut ins Boulevard“
Was reizt Sie am Boulevard?
Diese Art von Theater hat mir ein neues Feld geboten, auf dem ich anfangs sehr unsicher war. Komödie hatte ich jedenfalls lange nicht auf dem Schirm, die haben wir auch gar nicht gelernt. Ich war immer lieber die Drama-Queen. Aber René Heinersdorff hat in mir auch die Komödiantin entdeckt. Und ich bin immer noch ein bisschen erstaunt, dass ich das kann und die Leute über mich lachen. Was mir, glaube ich, zugute kommt, ist diese rotzige Trockenheit des Ruhrpottmädchens, die passt sehr gut ins Boulevard.
In dem Stück „Kennst du mich noch?“ geht es auch um das Fremdgehen in Gedanken. Wo verläuft für Sie persönlich die Toleranzgrenze zwischen Fantasie und Tat?
Fremdgeh-Fantasien würde ich akzeptieren. Ich kann von einem Partner nicht verlangen, dass ich bis in alle Ewigkeit seine Traumfrau bin. Aber Fremdgehen ist Betrug, das ist unehrlich. Seinen Partner systematisch zu hintergehen, das geht für mich gar nicht.
Und wie steht es im Beruf mit der Anhänglichkeit? Schauen Sie zu, wenn das Traumschiff Weihnachten wieder in See sticht?
Ich bin kein regelmäßiger Fernsehgucker. Und Weihnachten habe ich sowieso etwas anderes zu tun. Aber sollten sie mich noch mal einladen, gehe ich gerne noch mal an Bord.
Apropos. Sie verbringen die gesamte Adventszeit in Essen, was haben Sie noch alles vor?
Vor allem will ich viele Leute von früher treffen, auch ein paar alte Klassenkameraden habe ich noch nicht gesehen. Zuletzt habe ich mit den Kollegen eine gute Freundin in Mülheim besucht, die hat dann für das ganze Ensemble gekocht.