Essen. Auf dem Schulhof bleiben Einheimische und Flüchtlinge einander oft fremd. Die Ehrenamt-Agentur Essen gibt Schülern Starthilfe für die Integration

Es ist eine Hoffnung, die vielfach enttäuscht wurde – und doch in mancher Sonntagsrede wiederholt wird: Wenn Kinder aus Flüchtlingsfamilien hier die Schule besuchen, läuft die Integration wie nebenbei. Von wegen: Auf vielen Schulhöfen gibt es eine unsichtbare Grenze; da gelingt es den zugewanderten Kindern oft nicht, die Codes der Einheimischen zu knacken. Darum gibt es das Projekt „Gemeinsam aufwachsen“ der Essener Ehrenamt-Agentur, das beide Gruppen am Nachmittag zusammenbringt. Mit nachhaltigem Erfolg, wie man jetzt an der Bertha-von-Suttner-Realschule in Rüttenscheid erlebt hat.

Im Schulalltag gibt es Missverständnisse zwischen Einheimischen und Kindern aus Flüchtlingsfamilien

Mit ihrem Ganztagsangebot zieht die Schule Jungen und Mädchen aus dem gesamten Stadtgebiet an, aktuell hat sie 434 Schüler, 67 von ihnen stammen aus Flüchtlingsfamilien. Schulleiter Niels von der Heyde beobachtet, dass oft Verständnisschwierigkeiten bleiben, selbst wenn die neuen Schüler schon gut Deutsch sprechen. „Auch die Körpersprache ist eine andere. Wenn die geflüchteten Kinder kritisiert werden, sehen sie meist nach unten, während die deutschen Kinder den Lehrer auch in solchen Situationen anblicken.“

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Oft führt das zu Ratlosigkeit auf beiden Seiten, manchmal zu Verzweiflung. Andrea Dietz, die seit gut einem Jahr als Schulsozialarbeiterin an der Bertha-von-Suttner-Schule tätig ist, erinnert sich an eine Fünftklässlerin, die sich aufgelöst an sie wandte: „Sie fühlte sich von den anderen abgelehnt, kam hier nicht zurecht.“ Dank des Projekts „Gemeinsam aufwachsen“ habe sich das geändert.

Die Ehrenamtlichen sind für die Schüler Türöffner in eine andere Welt

Das Mädchen nämlich zählt zu jener Gruppe von 10 bis 13 Jahre alten Schülern, die seit den Herbstferien jeden Montag nachmittags zusammen unterwegs sind; begleitet von Sarah Malzkorn und Valerie Benninghoff. Die beiden Ehrenamtlichen vom Projekt „Gemeinsam aufwachsen“ holen die zehn Jugendlichen von der Schule ab, gehen mit ihnen essen und erkunden dann die umliegenden Stadtteile. Sie stellen Jugendzentren und Sportvereine vor, den DJ-Workshop oder die Angebote des Ferienspatzes.

„Essen hat ein großes Angebot für Kinder und Jugendliche, doch viele kennen es gar nicht - da spielen wir den Türöffner“, sagt Sarah Malzkorn. So habe sie der Gruppe von der Bertha-von-Suttner-Realschule das Jugendhaus Rubensstraße im nahen Holsterhausen vorgestellt, mit nachhaltigem Erfolg. „Das ist ja wie ein Zuhause“, habe ein Mädchen gestaunt, andere waren verblüfft, „dass das hier alles umsonst ist“.

Einige der Realschüler, die schon in der ersten „Gemeinsam aufwachsen“-Gruppe waren, seien noch immer Gäste des Jugendhauses. „Denen ist etwas geboten worden, was sie noch nicht kannten“, sagt Sozialarbeiterin Dietz. Das sei übrigens auch für Kinder wichtig, die in Essen geboren sind, deren Eltern aber auch einem anderen Land stammen und mit den hiesigen Angeboten nicht vertraut seien. Die Projektteilnehmer identifizierten sich stärker mit „ihrer Stadt“, sagt Sarah Malzkorn. „Und die wissen, dass man sich auch woanders treffen kann als am Hauptbahnhof“, ergänzt Schulleiter von der Heyde.

„Das beste Mittel gegen Ghettos und Ausgrenzung“

Die Schüler hätten aber nicht nur gemeinsam die Stadt erkundet, sondern einander auch besser kennengelernt, Freundschaften geschlossen. Zu Beginn des Projekts stellt sich jeder anhand eines Fragebogens vor: Da charakterisiert sich der eine über eine Leidenschaft für Fußball und Playstation, der andere gesteht „Ich bin emotional“, eine Dritte erzählt von der schmerzvollen Flucht. Begleitet durch die Ehrenamtlichen lernen Jugendlichen eine Seite der anderen kennen, die die im Schulalltag nicht unbedingt zeigen können.

In der Schule fehle oft der Freiraum für solche Begegnungen, sagt Niels von der Heyde. Daher freue er sich, dass die Sparda-Bank West eG das Projekt mit einer 5000 Euro-Spende unterstützt habe. Sparda-Regionalleiter Stefan Dunkel hofft auf eine langfristige Wirkung: „Gemeinsam den Nachmittag verbringen, sich anfreunden - das ist doch das beste Mittel gegen Ghettos und Ausgrenzung.“