Essen. Wenn Fahrgäste aufs Gleis geraten, ist das in der U-Bahn lebensgefährlich. Die Ruhrbahn erklärt, wie man dann schnell, aber umsichtig reagiert

Letzten Monat wurde ein Mann am Kottbusser Tor in Berlin vor eine U-Bahn gestoßen und starb - kein Einzelfall. Auch in Essen hat es schon ähnliche Vorfälle gegeben: 2017 stieß ein 47-jähriger Mann eine 58-jährige Essenerin ins Gleisbett, die Frau verlor das Bewusstsein, konnte aber durch schnelles Eingreifen gerettet werden. Wie verhält man sich in einer solchen Notsituation - und welche Sicherheitsvorkehrungen gibt es, damit es gar nicht erst dazu kommt? Sylvia Neumann, stellvertretende Pressesprecherin der Ruhrbahn, beantwortet die wichtigsten Fragen rund um das Thema „Sicherheit am Gleis.“

Frau Neumann, wie sollen sich Fahrgäste verhalten, um sich vor Situationen wie der in Berlin schützen?

Wir empfehlen, dass Sie sich als Fahrgast nicht direkt an der Bahnsteigkante aufhalten sollten.

Ohne das Nothaltesignal aktiviert zu haben, sollte niemand aufs Gleisbett gehen

Wenn aber der Ernstfall eintritt - wie kann man Menschen helfen, die aufs Gleis gefallen sind? Soll man hinterherspringen, um sie zu retten?

Ohne Vorbereitung auf gar keinen Fall. Aber in unseren U-Bahnhöfen haben wir sogenannte Notruf- und Infosäulen mit Nothaltesignalen: rote Kästen mit einer gelben Lampe obenauf und einem Griff zum Herunterziehen. Wenn Sie sehen, dass sich jemand im Gleisbett befindet, haben Sie die Möglichkeit, diesen Griff zu ziehen. Dadurch wird die Einfahrt für den nächsten Zug, der in den Bahnhof fährt, gesperrt. Das heißt: Derjenige, der zu Hilfe eilt, kommt dann auch ohne Schaden wieder aus dem Gleisbett heraus.

Sylvia Neumann, Unternehmenskommunikation der Ruhrbahn.
Sylvia Neumann, Unternehmenskommunikation der Ruhrbahn. © Heinz-Werner Rieck

Wie können andere Fahrgäste den Vorfall schnell melden?

Über die Notruf- und Infosäulen können sie Kontakt zu unserer Leitstelle aufnehmen und die Situation schildern. Die Mitarbeiter aus der Leitstelle können dann entsprechende Stellen informieren und auch Maßnahmen einleiten.

Welche zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen gibt es seitens der Ruhrbahn?

Jeweils zwei Servicemitarbeiter sind von Betriebsbeginn bis Betriebsende an allen größeren Bahnhöfen unterwegs, zusätzlich zu dem Servicepersonal, das sich mobil durch das Stadtgebiet bewegt.

Bahnsteigtüren, die Gleisbett und Wartebereich trennen, sind für die Ruhrbahn keine Option

In München gibt es ab 2023 ein Pilotprojekt, das vorgeblendete Sicherheitstüren an den Bahnsteigen testet, sodass Gleis und Wartebereich getrennt sind, bis die Bahn steht. Ist so etwas in Essen auch denkbar?

Für die Ruhrbahn sind Bahnsteigtüren an U-Bahnhöfen keine Option. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen fahren wir ein offenes System aus Straßenbahnen und U-Bahnen. Die Nutzung von Bahnsteigtüren erfordert aber einen einheitlichen Fuhrpark mit einheitlichen Türabständen, um die Öffnung und Schließung der Türen zu ermöglichen. Auch fahren wir bei der Ruhrbahn (anders als in München) nicht vollautomatisiert. Durch das Einfahren und Bremsen per Hand wird das Fahrzeug immer eine, wenn auch minimale, Differenz zu den Sensoren haben, die aber nicht da sein darf, um Bahnsteigtüren öffnen zu können. Also benötigt ein Abgleich Zeit, das wirkt sich negativ auf unseren Fahrplan aus. Das ist aber nicht alles.

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Welche Hindernisse gibt es noch?

Bei der Infrastruktur unserer Bahnhöfe haben wir Probleme, Bahnsteigtüren zu verbauen. Sollte es doch möglich sein, würden die heutigen Bahnsteige um circa 70 cm schmaler. Für unsere Fahrgäste würde der Raum somit enger. Ein ganz wichtiger Punkt ist der Brandschutz. Sollte eine brennende Bahn einfahren, um die Fahrgäste ab Bahnsteig mit Hilfskräften schnell evakuieren zu können, und vor ihr wäre eine wartendende Bahn – was würde passieren? Das brennende Fahrzeug wäre im schlimmsten Falle nicht zu evakuieren. Durch die Bahnsteigtüren würde ebenfalls das Rauchspeichervolumen zunehmen – der Rauch kann nicht zügig abziehen.

Sicherheitstraining

Sicher fahren mit Bus und Bahn: Die Ruhrbahn bietet der Generation „50 plus“ dazu ein kostenloses Training an. In Theorie und Praxis gibt es unter anderem Informationen über die Sicherheit an Haltestellen, über das richtige Ein- und Aussteigen und die Sicherheit im Fahrzeug.

Inhalte und Ablauf des Trainings wurden von der Ruhrbahn gemeinsam mit Pädagogen, Verkehrsexperten und Wissenschaftlern der Universität Duisburg-Essen entwickelt. Eine Anmeldung ist erforderlich unter 0201 - 27 99 163.

Barrieren und Drehkreuze brächten den Fahrplan durcheinander

Weitere Ideen sind, nur Personen mit einem gültigen Ticket oder erst nach Ankunft des Zuges auf den Bahnsteig zu lassen. Ließe sich dies umsetzen?

Zum einen ist unsere Infrastruktur nicht dafür ausgelegt, unsere Fahrgäste bis zum Einfahren der Bahn aufzuhalten, zum anderen würde so der Fahrplan komplett aus dem Takt geraten. Die vielen Menschen müssten sich durch eine Barriere begeben um in die Bahn zu kommen. Zum anderen wären Bahnhöfe mit zum Beispiel Drehkreuzen ein Problem für mobilitätseingeschränkte Menschen. Hinzu kämen auch noch enorme Umbaukosten – sofern baulich überhaupt zu realisieren.