Essen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Hartz-IV-Sanktionspraxis nicht generell gekippt. Essens Sozialdezernent Peter Renzel reagiert erleichtert.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Sanktionen gegenüber Hartz-IV-Empfängern für teilweise verfassungswidrig erklärt. Allerdings kippte das oberste Gericht die Praxis – wie von Gegnern des Hartz-IV-Systems gefordert – nicht gänzlich. So sind künftig insbesondere die Kürzungen um 60 Prozent oder mehr unzulässig. Um 30 Prozent dürfen die Leistungen aber weiter gekürzt werden. Janet Lindgens sprach über das Urteil und dessen Folgen mit Essens Sozialdezernent Peter Renzel. Ihm untersteht das Jobcenter.

Was halten Sie von dem Richterspruch?

Peter Renzel: Ich hätte nicht ein so diplomatisches Urteil erwartet. Ich bin aber sehr froh und erleichtert, dass das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass die Minderung der Leistung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Prinzip des Förderns und Forderns hat damit Rückendeckung erhalten. Es ist nach wie vor eine tragende Säule der Arbeit der Jobcenter.

Warum ist Ihnen die Beibehaltung der Sanktionen so wichtig?

Wenn die Sanktionen gänzlich abgeschafft worden wären, dann wäre das gegenüber der arbeitenden Bevölkerung ein Schlag ins Gesicht gewesen. Ich kenne viele Menschen in Essen, die arbeiten kurz über dem Hartz-IV-Satz. Gerade ihnen gegenüber wäre das nicht in Ordnung gewesen.

Es gibt trotz oder auch wegen des Urteils weiter die Forderungen, die Sanktionspraxis ganz abzuschaffen. Möglicherweise knickt die Politik ein.

Das wäre ein großer Fehler. Und um auch nochmal klarzustellen: Die harte Sanktionspraxis trifft ja die wenigsten. Die meisten Fälle, bei denen Kunden die Leistung gekürzt werden, kommen zustande, weil Termine nicht eingehalten werden. Aber es gibt eben auch Kunden, die arbeiten bei der Arbeitssuche nicht so mit, wie es notwendig wäre. Für solche Fälle brauchen wir Instrumente, um das Fordern zu unterstützen. Ansonsten wären wir ein zahnloser Tiger.

Gäbe es nicht vielleicht auch andere Mittel, um Menschen zur Arbeitsaufnahme zu motivieren?

Ehrlich gesagt habe ich keine kreative Idee, wie wir das anders umsetzen können. Alle müssen alles tun, um wieder in Arbeit zu kommen.

Was heißt das Urteil nun in der Praxis für die Jobcenter?

Nun ist der Gesetzgeber gefordert. Er muss das Urteil in Handlungsanweisungen für die Jobcenter konkretisieren. Denn das Problem ist: Das Urteil lässt den Jobcentern künftig einen größeren Ermessensspielraum. Ich erwarte deshalb, dass auf die Jobcenter mehr Arbeit zu kommt. Jeder Fall muss künftig noch intensiver individuell geprüft werden. Auch die Widersprüche und Klagen dürften damit steigen. Ich erwarte deshalb, dass die Jobcenter mehr Personal brauchen.

Das Gericht hat nichts zur Sanktionspraxis für die unter 25-Jährigen gesagt. Bedauern Sie das?

Ich halte sowieso nichts davon, jungen Leuten die Leistung um bis zu 100 Prozent zu kürzen. Denn die Gefahr ist groß, dass sie sich dann aus dem System verabschieden und wir sie somit verlieren. Deshalb fahren wir in Essen einen ganz anderen Kurs. Wir praktizieren die Kultur des Hinterherlaufens. Wir geben junge Menschen nicht auf. Wir dürfen keinen verlieren. Die benannten Sanktionen sind dann immer nur das allerletzte Mittel.