Essen. Es ist weder zynisch noch herzlos, wenn der OB auf die Integrations-Lasten verweist, die Essen trägt. Auch anderes spricht gegen die „Seebrücke“.
Es ist im Kommunalen mittlerweile bemerkenswert, wenn eine Stadt auf politische Symbolhandlungen verzichtet, obwohl es dafür von gut organisierten Interessengruppen starken Gegenwind gibt. Nachdem der Essener Stadtrat und Oberbürgermeister Thomas Kufen schon den „Klimanotstand“ verweigert haben, will Essen nun auch nur ungern die „Seebrücke“ betreten und sich nicht pauschal zum „sicheren Hafen“ für Flüchtlinge deklarieren.
Das zentrale Argument ist, Essen habe schließlich bei der Aufnahme von Flüchtlingen mehr als nur seine Pflicht erfüllt und wolle kein falsches Zeichen setzen, indem man als Stadt so tut, als könnten es gerne noch mehr sein. Das ist nachvollziehbar und weder zynisch noch herzlos. Eine Erfüllungsquote von 217 Prozent kann sich sehen lassen. Die Unterbringung und Integration von Zehntausenden neuen Einwohnern innerhalb weniger Jahre ist nicht nur sehr anstrengend, weil ein gedeihliches Zusammenleben sich keineswegs von selbst ergibt. Sie kostet auch viel Geld.
Trotz freier Plätze in Unterkünften existieren Grenzen der Aufnahmemöglichkeit
Immerhin rund 17.500 Flüchtlinge beziehen nach aktuellen Zahlen des Essener Jobcenters Hartz IV. Die vielfältigen, oft personalintensiven Integrationsbemühungen durch städtische Stellen und Sozialverbände gibt’s ebenfalls keineswegs zum Nulltarif. Die Stadt erhält zwar einen Teil ihrer Aufwendungen von anderen staatlichen Ebenen ersetzt, was für den Steuer- und Beitragszahler aber ziemlich irrelevant ist, da es immer sein Geld ist, das hier verwendet wird. Ein paar Hundert freie Plätze in Übergangseinrichtungen sind jedenfalls kein Grund so zu tun, als wären die Aufnahmemöglichkeiten schier endlos.
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Nun kann man sagen, die Humanität gebietet es zu helfen, wenn Menschen ertrinken. Das ist richtig, doch kann geglückte Nothilfe nicht bedeuten, faktisch ein Ticket für die Einwanderung zu ziehen, was derzeit sehr, sehr oft der Fall ist. Unterbelichtet bleibt dabei zumeist die Frage nach den Anreizen für die keineswegs immer bitterarmen Menschen, die mit Hilfe der Schlepper die Überfahrt übers Mittelmeer wagen.
Seebrücke leistet einen Beitrag zu den Pull-Faktoren, die wilde Einwanderung begünstigen
In der Summe leistet auch die Seebrücke einen kleinen Beitrag zu den Pull-Faktoren, die zwischen dem Risiko und dem erwarteten Ertrag nach dem geglückten Anlanden abwägen. Es macht keinen Sinn, immer wieder indirekt zur ungeregelten Einwanderung zu ermutigen, die in dieser kruden Form nun mal nicht gewünscht ist. Auch eine Stadt darf über den politischen Tellerrand blicken und muss sich solcher Zusammenhänge bewusst sein.
Ein anderes Argument, warum einige Ratsfraktionen die Seebrücke nicht recht wollen, wird nur hinter vorgehaltener Hand kommuniziert. Er habe es satt, sagt einer der Essener Entscheider, ständig von rabiaten Wohlmeinenden mit moralischen Druck-Situationen konfrontiert zu werden, die dann in Ratsbeschlüsse gegossen werden sollen, die wiederum ein Eigenleben entwickeln (sollen). In diesem Punkt hat die Seebrücken-Initiative nämlich recht: Symbolpolitik ist keineswegs folgenlos, sie setzt die Politik unter Druck und verlangt nach Taten.
Symbolpolitik ist nicht folgenlos und führt häufig zu Aktionismus
Wer zum Beispiel einen „Klimanotstand“ ausruft, muss irgendetwas tun, um der selbst geschaffenen Dramatik gerecht zu werden. Oft genug ist dann blinder Aktionismus die Folge, Hauptsache überhaupt etwas gemacht, egal ob’s in der Sache was bringt. Auch die Seebrücke ist geeignet, vernünftiges politisches Abwägen durch den Verweis auf höhere Moral zum Schweigen zu bringen. Der Rat der Stadt tut gut daran, solche Fallen zu vermeiden.