Essen. Die Zahl der Spielabbrüche bei Essener Amateurfußballspielen ist um 60 Prozent zurückgegangen. Das liegt nicht nur an härteren Strafen für Täter.
Die Zahl der Spielabbrüche im Essener Amateurfußball ist im vergangenen Jahr um rund 60 Prozent zurückgegangen. Das berichtet Ulf Gebken, Sportwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen. In den Jahren 2014 bis 2016 war Essen durch regelmäßige Vorfälle bundesweit als „Hauptstadt der Fußball-Gewalt“ in Verruf geraten. Mittlerweile gebe es aber eine Trendwende – ausgelöst durch härtere Strafen, konsequenteren Ausschluss von gewalttätigen Spielern und nicht zuletzt durch mehr Kommunikation zwischen den Beteiligten.
„Wir wissen jetzt, was zu tun ist“
„Wir können nicht verhindern, dass es nächsten Sonntag wieder einen Vorfall gibt“, sagt Ulf Gebken, „aber wir wissen genau, was dann zu tun ist. Das war vor Jahren noch anders.“
Gebken hat mit einem Wissenschaftler-Team jahrelang das Bemühen der Stadt, des Sportbundes, der Sport- und Bäderbetriebe, des Fußballkreises Essen sowie dem Kommunalen Integrationszentrum (KI) begleitet, die gemeinsam nach Lösungen gesucht haben. Gebken forschte nach den Ursachen für die Gewalt. „Am Anfang, als wir die ersten Vereine aufsuchten, war ich geschockt“, gibt Gebken zu. „Da wurden Schiedsrichter unverhohlen erpresst, da waren Trainer, die in kriminelle Milieus verstrickt waren – und die Vereine waren zu schwach, um sich zu wehren.“ Ganz abgesehen von den „sehr schlechten Rahmenbedingungen“, unter denen besonders Migranten-Vereine Trainings und Spiele abhielten – ohne eigene Räume und meistens nur geduldet als Gäste auf Sportanlagen. Tatsächlich gibt es Plätze wie an der Bäuminghausstraße in Altenessen, wo sich derzeit vier Clubs Kabinenräume, Plätze und Trainingszeiten teilen. „Das ist ein Riesen-Konfliktpotenzial.“
Mannschaft mit zweifelhaftem Ruf wurde Boykott-Meister
Die zweite Mannschaft des BV Altenessen 06 geriet ab 2014 bundesweit in die Schlagzeilen, als die gesamte Kreisliga den Club wegen seiner unfairen Spielweise boykottierte. Das paradoxe Ergebnis: Das Team wurde Meister, denn die Punkte jedes ausgefallenen Spiels, die die gegnerischen Mannschaften absasgten, fielen den Altenessenern zu.
Mittlerweile, heißt es, sei der Neuaufbau abgeschlossen. Auch die Jugendarbeit ist komplett neu aufgebaut worden.
Auch die juristischen Mittel, mit denen man brutale Wiederholungs-Täter auf dem Spielfeld wirkungsvoll ausschließen kann, waren früher begrenzt: „Es hat ewig gedauert“, berichtet Wolfgang Rohrberg, der Geschäftsführer des Essener Sportbundes, „bis die Satzung für die Nutzung von Sportstätten geändert werden konnte.“ Die verhindert heute, dass ein Spieler, der im Verein X wegen wiederholter Tätlichkeiten hinausgeworfen wird, morgen beim Verein Y anheuern kann. „Mindestens 18 Spieler und Zuschauer“, berichtet Rohrberg, „haben mittlerweile absolutes Hausverbot auf allen Essener Sportstätten.“
Qualifikation von Trainern bleibt ein Problem
Auch wenn die Zahl der Vorfälle deutlich zurückgegangen ist – Probleme bleiben: „Die Qualifikation der Jugendtrainer und Trainer muss vielerorts deutlich besser werden“, sind sich alle einig. Doch 120 Kurs-Stunden für eine Trainerlizenz zu absolvieren – das kann und will nicht jeder mögliche Kandidat. Derzeit werde an neuen Ausbildungskonzepten gearbeitet, um mehr Interessenten für den ehrenamtlichen Job als Fußballtrainer zu gewinnen. „Man darf nicht vergessen“, sagt Gebken, „dass gerade auch die migrantisch geprägten Vereine unglaublich viel leisten.“ Das haben er und seine Studenten erlebt, die über Monate das Jugendtraining in manchen Vereinen im Essener Norden übernahmen.
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Übrigens war Essen nicht nur die so genannte Hauptstadt der Fußballgewalt – Essen ist auch Vorreiter im Fairplay, zumindest beim Kinderfußball. „In Essen spielen Kinder bis einschließlich in der E-Jugend ohne Schiedsrichter“, sagt Gebken. „Die Trainer beider Mannschaften regeln das Spiel.“ In anderen Städten gebe es diese Regel, die in der Stadt seit Jahren völlig geräuschlos verläuft, maximal bis zur F-Jugend. „Solche positiven Eigenschaften, für die der Essener Fußball auch steht, müssen sich stärker herumsprechen“, findet Gebken.