Essen. Es ist eine Premiere: 2020 sollen Radfahrer und Busse auf Essens erster Umweltspur fahren. Doch die hat ihre Tücken, räumt sogar der ADFC ein.

Es ist eine Premiere im Ruhrgebiet: Der Bau- und Verkehrsausschuss des Essener Stadtrates hat am Donnerstag den Bau einer Umweltspur auf den Weg gebracht. Sie soll sich am westlichen Rand der Innenstadt auf der Schützenbahn vom Varnhorstkreisel im Süden bis zur Gladbecker Straße im Norden erstrecken. Allein Fahrradfahrer und Busse des öffentlichen Nahverkehrs dürfen darauf fahren. 2020 soll es soweit sein, zunächst für ein Jahr auf Probe. Schon jetzt zeichnet sich ab: Die Umweltspur dürfte selbst für erfahrene Radfahrer zu einer Herausforderung werden.

Dass der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) den Bau der Umweltspur begrüßt, wird niemanden überraschen. Schön, dass sich die Stadt Essen endlich traut, kommentiert ADFC-Sprecher Jörg Brinkmann und hofft, dass der ersten Umweltspur weitere folgen werden. Brinkmann räumt aber ein: „Als die Verwaltung unseren Leuten die Pläne vorgestellt hat, da haben sich viele gefragt: Wie soll das denn funktionieren?“

Vor der Alten Synagoge tut sich in der Umweltspur eine 30 Meter lange Lücke auf

Denn die Umweltspur hat ihre Tücken. Vom Varnhorstkreisel soll sie zunächst in Richtung Alfredistraße führen. Schon vor dem Job-Center an der Bernestraße, dem ehemaligen Gesundheitsamt, ist erst einmal Schluss, denn bereits im Frühjahr kommenden Jahres beginnt die Stadt dort mit dem Bau des neuen Bürgerrathauses. Das Job-Center wird dafür abgerissen. Die Baustelle benötigt Platz. „An die Belange der Radfahrer wird bei Bauarbeiten immer zuletzt gedacht“, kommentiert Brinkmann bissig. Die Umweltspur soll auf diesem Abschnitt der Bernestraße „zu einem späteren Zeitpunkt“ fertig werden, heißt es von Seiten der Verwaltung. Das Bürgerrathaus soll Ende 2024 stehen.

Die nächste Lücke in der Umweltspur ist von Dauer: Damit Autofahrer an der Alten Synagoge weiterhin nach rechts in die Alfredistraße abbiegen können, wird die Umweltspur auf einer Länge von 30 Metern unterbrochen. „Das ist unser größter Kritikpunkt“, sagt Brinkmann und legt an die Adresse von Verwaltung und Politik nach: „Wenn erheblich in den Autoverkehr eingegriffen werden muss, dann kneift man.“

Für eine zusätzliche Spur für Rechtsabbieger fehlt der Platz, den vor der Alten Synagoge will die Stadt nicht antasten. Außerdem sollen die Parkhäuser an der Ribbeckstraße hinter dem Rathaus aus Richtung Innenstadt erreichbar bleiben.

An der Einmündung der Ribbeckstraße wird die Umweltspur unterbrochen, damit Fahrzeuge von rechts kommend auf die Schützenbahn einbiegen können. Ampeln sollen den Verkehr regeln.
An der Einmündung der Ribbeckstraße wird die Umweltspur unterbrochen, damit Fahrzeuge von rechts kommend auf die Schützenbahn einbiegen können. Ampeln sollen den Verkehr regeln. © Foto: Socrates Tassos

An der Einmündung der Ribbeckstraße wird die Umweltspur auf der Schützenbahn ein weiteres Mal unterbrochen. Busse, Radfahrer einerseits und Autos, die aus dem Tunnel kommen andererseits erhalten separate Ampelschaltungen. Apropos Tunnel: Autofahrer, die weiter in Richtung Norden wollen, müssen ihn nutzen. Oberirdisch bleibt lediglich das Linksabbiegen in die Straße Am Porscheplatz möglich, um auf diesem Weg in die nördliche Innenstadt zu gelangen.

Autos zu beiden Seiten der Radfahrer – das ist ein Novum

Zurück zur Umweltspur: Die schwenkt vor dem Viehofer Platz vom Rand in die Mitte, damit Radfahrer möglichst sicher nach links abbiegen können. Zu beiden Seiten der Umweltspur fahren somit Autos: geradeaus jene, die in Richtung Norden wollen. Links jene, die auf dem Innenstadtring bleiben. „Links und rechts Autos – das ist ein absolutes Novum“, sagt Jörg Brinkmann dazu. Fahrradfahrer werden sich auch daran gewöhnen müssen.

Dass Busse und Radfahrer sich die Umweltspur teilen werden, hält Brinkmann für unproblematisch. Das Beispiel Berlin zeige, dass es funktioniert. „Dort gibt es gemeinsame Spuren für Busse und Radfahrer schon lange, ohne dass sie Umweltspur genannt wurden.“

Auf einer „geschützten Fahrradspur“ sollen Radler sicher durch den Tunnel am Hauptbahnhof kommen.
Auf einer „geschützten Fahrradspur“ sollen Radler sicher durch den Tunnel am Hauptbahnhof kommen. © Foto: Socrates Tassos

Allein Fahrradfahrer bleibt die so genannte „Protected Bike Lane“ vorbehalten; auch sie wird eine Premiere in Essen sein. Die auch baulich vom übrigen Straßenraum getrennte Spur führt von der Helbingstraße im Süden durch den Tunnel unter den Gleisen der Deutschen Bahn über die Bernestraße bis zum Varnhorstkreisel. Das Besondere: Fahrradfahrer sollen die geschützte Spur in beide Richtungen nutzen, im Tunnel gibt es also Gegenverkehr. Ist das gefährlich? „Die Spur wird so abgetrennt, dass Autos auch nicht versehentlich auf die Bike-Lane kommen“, so Jörg Brinkmann.

Dennoch: Die Essener Umweltspur hat es nach Einschätzung des ADFC-Sprechers durchaus in sich. „Wir als geübte Radfahrer, die jeden Tag unterwegs sind, werden damit umgehen können“, ist sich Brinkmann sicher, gibt aber zu bedenken. „Auch unsichere Radfahrer sollen die Umweltspur ja nutzen.“ Öffentlichkeitsarbeit durch die Stadt sei deshalb ein Muss. Auch an die Adresse der Autofahrer, damit sie sich auf die Umweltspur einstellen können.

Umweltspur soll den öffentlichen Personen-Nahverkehr attraktiver machen

So soll die Umweltspur verlaufen. Die rote Linie markiert die „Protected Bike Lane“
So soll die Umweltspur verlaufen. Die rote Linie markiert die „Protected Bike Lane“ © Foto: Miriam Fischer

Der Bau- und Verkehrsausschuss hat der Einrichtung einer Umweltspur mit breiter Mehrheit zugestimmt. Das Essener Bürgerbündnis (EBB) stellte seine Bedenken zurück. Gleiches gilt für die CDU, die aber geprüft wissen will, ob in Richtung Süden vom Viehofer Platz bis zur Schützenbahn nicht doch ein einfacher Radweg genügen würde.

Die SPD hält eine Umweltspur hingegen in beide Fahrtrichtungen für sinnvoll. Es gehe doch auch darum, den öffentlichen Personen-Nahverkehr attraktiver zu machen. Bei einer Umweltspur muss es für die Sozialdemokraten nicht bleiben.

Allein die FDP hält die Umweltspur für reine Symbolpolitik. Die Liberalen befürchten Staus insbesondere aus Richtung Norden. Das bestehende Fahrrad-Hauptroutennetz finde bei den Planungen außerdem keine Berücksichtigung Vernünftiger wäre aus Sicht der FDP eine „Protected Bike Lane“ vom Hauptbahnhof über Holle-, Herkules- und Goldschmidtstraße bis zum geplanten Radschnellweg RS 1.

Die Verwaltung geht nun an die Detailplanung. Ende des Jahres soll der Bau- und Verkehrsausschuss den Baubeschluss fassen.