Essen. Die Essener Polizei feiert ihr 110. Bestehen. Klartext-Verlag gratuliert mit einem Buch, das die Geschichte und spektakuläre Fälle beinhaltet.

Die Essener Polizei feiert ihr 110. Bestehen. Denn am 1. Juli 1909 trat die neue „Königliche Polizei-Direktion Essen“ ihren Dienst an. Passend zum Geburtstag bringt der Klartext-Verlag ein Buch mit dem Titel „Für jede Leiche gibt’s ‘nen Schnaps! – 110 Geschichten aus dem Alltag der Polizei Essen“ heraus.

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Die Autoren – Tobias Appelt, Denis de Haas und David Huth – versammeln in dem 144 Seiten starken Werk 110 Geschichten der Essener Polizei. Entstanden ist ein gelungenes Buch, das mehr bietet als die üblichen Festschriften mit den dafür typischen Ansprachen von Gratulanten. Im Gegenteil: Die Autoren haben ein schönes Lesebuch geschrieben, das auch für Menschen außerhalb der Behörde spannend ist. So werden spektakuläre Fälle dargestellt – eine kleine Auswahl dieser Fälle finden Sie auf dieser Seite.

Das Polizeipräsidium entstand während des Ersten Weltkriegs

Gegründet wurde die „Königliche Polizei-Direktion Essen“, weil eine neue starke Polizei nötig war. Mit dem Bevölkerungswachstum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahmen auch die sozialen Probleme zu. Schließlich gab es in den Jahren vor der Gründung zahlreiche Unruhen. „1905 hatte die Lage im gesamten Industrierevier ein bedrohliches Ausmaß angenommen“, schildern die Autoren.

Das Polizeipräsidium entstand während des Ersten Weltkriegs – damals gab es einen Mangel an Baumaterial. Nach dem Krieg fehlten der Polizei die jungen Beamten, denn diese waren an der Front gefallen. In den Revolutionswirren 1918/19 war die Bewaffnung und die Führung im Einsatz nicht gut. Die Polizei musste erneut umgebaut werden, es entstand eine neu formierte Schutzpolizei – deren erster Einsatz war bei schweren Ausschreitungen Ostern 1921 in der Innenstadt.

Polizisten waren in der NS-Zeit an Gräueltaten beteiligt

Aufräumen nach dem Zweiten Weltkrieg: Männer beseitigen 1945 Schutt vor dem Essener Polizeipräsidium.
Aufräumen nach dem Zweiten Weltkrieg: Männer beseitigen 1945 Schutt vor dem Essener Polizeipräsidium. © Polizei Essen

Der Nationalsozialismus ist auch bei der Essener Polizei ein dunkles Kapitel. „Als ‘Feinde der Volksgemeinschaft’ bezeichnete Minderheiten wurden von den Nazis eingeschüchtert oder ausgeschaltet. In allem war ihnen hierbei die Polizei ein ebenso unentbehrlicher wie williger Helfer“, schreiben die Autoren. Die Essener Polizei nahm am Einmarsch in das Sudetenland und an der Zerschlagung der Rest-Tschechei teil. Polizisten wurden in den überfallenen Ländern eingesetzt. Eine ihrer Aufgaben: Juden aufspüren. Den Essener Polizisten sei bewusst gewesen, an welchen Abscheulichkeiten sie sich beteiligt hätten. „Oft war es ein Nichteingreifen oder Wegsehen. Oft waren es aber auch schlimmste Verbrechen“, heißt es im Buch. Etwa als Polizisten Mitte März 1945 35 russische Zwangsarbeiter auf dem Gruga-Gelände hinrichteten.

Nach dem Krieg unterstand die Polizei den Alliierten, die unter anderem jegliche richterliche und gesetzgebende Gewalt der Polizei aufhoben. Zu den Aufgaben gehörten nun auch der Wiederaufbau der Polizeipräsidiums oder der Kampf gegen den Schwarzmarkt, vor allem am Hauptbahnhof und am Viehofer Platz. Für altgediente Nazis, so die Autoren, sei es einfach gewesen, wie der in den Polizeidienst zurückzukehren.

Die Aufgaben der Polizei haben sich stetig gewandelt

Polizisten vor dem Essener Hauptbahnhof. Laut Polizeiarchiv wurde das Bild im Jahr 1955 aufgenommen. Der Fotograf steht auf dem heutigen Willy-Brandt-Platz und fotografiert in Richtung Hauptbahnhof.
Polizisten vor dem Essener Hauptbahnhof. Laut Polizeiarchiv wurde das Bild im Jahr 1955 aufgenommen. Der Fotograf steht auf dem heutigen Willy-Brandt-Platz und fotografiert in Richtung Hauptbahnhof. © Polizei Essen

1947 übertrug die britische Militärregierung die Polizeigewalt auf das Land NRW. Noch bis 1953 war die Polizei ein städtisches Amt und der Polizeiausschuss für Personal- und Ausstattungsfragen zuständig. Eine Anekdote am Rande: In den 1950er Jahren gab es bei der Essener Polizei den offiziellen Antrag „Branntwein-Zuteilung für Leichensachbearbeiter an stark in Verwesung übergegangenen und ekelerregenden Leichen“. Die Polizisten, die im Leichenschauhaus arbeiten mussten, durften zur Stärkung offiziell Schnaps trinken. Das wäre heute wohl unvorstellbar.

Die Aufgaben der Polizisten haben sich in all den Jahrzehnten stetig gewandelt: In der Nachkriegszeit mussten Bauern während der Ernte beschützt werden, in den 60er Jahren kamen Studentenunruhen und RAF, in den 70ern Hausbesetzer. Zu den Herausforderungen gehört heute auch der Umgang mit arabischen Clans.

Das Buch „Für jede Leiche gibt’s ‘nen Schnaps! 110 Geschichten aus dem Alltag der Polizei Essen“ erscheint am 24. August im Klar-Verlag und kostet 24,95 Euro. Vorbestellung: https://cutt.ly/LeicheSchnaps

Fünf spektakuläre Fälle der Essener Polizei

Der Kindermörder Bartsch

Vier Jungen hat der Serienmörder Jürgen Bartsch brutal umgebracht. Im Sommer 1966 wurde der „Kirmesmörder“ schließlich festgenommen. Bartsch war gerade einmal 15 Jahre alt, als er das erste Mal tötete: Der achtjährige Klaus verlor im Jahr 1962 sein Leben in einem alten Luftschutzstollen, der zwischen Nierenhof und Langenberg lag. Drei Jahre später brachte der damalige Metzger-Lehrling den dreizehnjährigen Peter um, nachdem er sich an ihm vergangenen hatte. Bartsch zerstückelte die Leiche. Nur acht Tage später tötete er den zwölfjährigen Ulrich. Auf der Kirmes in Schonnebeck traf Bartsch auf Manfred, der damals elf Jahre alt war. Bartsch lockte ihn in einen Bunker, vergewaltigte und erschlug ihn. Fünf Wochen später wurde der elfjährige Peter fast das nächste Opfer des brutalen Mörders. Der Junge konnte fliehen und die Polizei wurde alarmiert. Schließlich fasste die Polizei den „Kirmesmörder“, der zu diesem Zeitpunkt 19 Jahre alt war. „Ermittelt hatte die Essener Polizei ab 1966 mit einer 25-köpfigen Mordkommission, nachdem ein Zusammenhang zwischen mehreren der Taten angenommen wurde“, schreiben die Autoren. Die Polizei habe damals in dem Fall auch stark auf die Öffentlichkeitsfahndung gesetzt. So seien beispielsweise Lautsprecherwagen der Polizei in der Halbzeitpause eines RWE-Spiels durch das Georg-Melches-Station gefahren. 26.000 Handzettel wurden unter den Fußballfans verteilt.Bartsch wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Er starb während seiner Kastration und wurde anonym auf einem Essener Friedhof bestattet.

Die Aldi-Entführung

Die gesamte Bundesrepublik verfolgte Ende 1971 diesen Fall: Aldi-Gründer Theo Albrecht wurde am 29. November vor der damaligen Unternehmenszentrale in Herten entführt. Die Essener Polizei habe die bis dato größte Fahndung der Republik koordiniert, so heißt es im Buch. 154 Ermittler gehörten der zuständigen Sonderkommission an. Sie machten insgesamt mehr als 10.000 Überstunden, während sie an diesem Fall arbeiteten.Die Entführer, Heinz Joachim Ollenburg und Paul Kron („Diamanten-Paule“), hielten den Unternehmer 17 Tage lang in einem Kleiderschrank gefangen. Die zähen Verhandlungen zwischen den Kidnappern und der Polizei führten schließlich dazu, dass Ruhrbischof Franz Hengsbach das Lösegeld übergab. Sieben Millionen Euro zahlte die Familie Albrecht. Am 16. Dezember erfolgte die Übergabe der Geld-Koffer auf einem Feldweg in Breitscheid und kurze Zeit später wurde Theo Albrecht frei gelassen. Die Polizei fasste die beiden Entführer. Die Männer wurden gefasst und 1973 zu einer Freiheitsstrafe von jeweils achteinhalb Jahren verurteilt. Rund die Hälfte des Lösegeldes wurde nicht gefunden.Der Unternehmer, der ab diesem Zeitpunkt sehr zurückgezogen lebte, habe sich bei der Sonderkommission der Polizei bedankt: „Albrecht schickte ihnen 120 Flaschen Sekt, zwei Fässer Bier und zwölf Flaschen Schnaps“, beschreiben die Autoren im Buch „Für jede Leiche gibt’s ‘nen Schnaps! – 110 Geschichten aus dem Alltag der Polizei Essen“.

Wo ist Pierre Pahlke?

Wenn Menschen verschwinden, dann geht das auch an den Polizisten, die mit dem jeweiligen Fall befasst sind, nicht spurlos vorbei. Seit dem 17. September 2013 wird Pierre Pahlke vermisst. Der geistig behinderte junge Mann lebte damals in der Heimstatt Engelbert. Zuletzt wurde er zwischen 19.15 und 20 Uhr am Penny Markt an der Ernestinenstraße in Frillendorf gesehen. Dann verlor sich jede Spur von dem fröhlichen, wenn auch schüchternen 21-Jährigen.Die Polizei startete nach Pierres Verschwinden eine großangelegte Suchaktion. Die Familie engagierte einen Privatdetektiv, der behauptete, dass zwei Frauen Pierre im Amsterdamer Rotlichtviertel gesehen haben wollen. Daraufhin schaltete sich auch die niederländische Polizei bei der Suche nach dem jungen Mann ein – allerdings ohne Ergebnis.Die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“ berichtete im Mai 2014 vor einem Millionenpublikum über den Vermisstenfall. Damals richtete der zuständige Kriminalhauptkommissar Ralf Menkhorst einen ergreifenden Appell an die möglichen Entführer: Pierre sei aufgrund seiner Behinderung ein „sehr schlechter Zeuge“, er werde die Täter nicht verraten und könne ruhig laufen gelassen werden. Über 80 Hinweise aus der Bevölkerung gingen damals nach der Sendung ein. Doch Pierre blieb weiter spurlos verschwunden. Wer hat Pierre Pahlke gesehen? Die Polizei hofft auch nach all den Jahren noch auf Hinweise und nimmt diese unter 0201/8290 entgegen.

Gefangen in der Ruhrtalbrücke

Elf Tage lang wurde eine Schülerin im Mai 1994 in der Ruhrtalbrücke (A52) gefangen gehalten. Die Ermittler arbeiten auf Hochtouren in bis zu 16-Stunden-Schichten, um das zwölf Jahre alte Mädchen zu befreien. Mehrfach melden sich die Entführer, fordern zwei Millionen Euro Lösegeld. Schließlich ist es ein Zufall, dass das Mädchen frei kommt. Bauarbeiter entdecken sie bei einer Routinekontrolle im Unterbau der Autobahnbrücke. Sie lag gefesselt auf Decken und einer Matratze in einem Wartungsraum. Bald kommen die Ermittler den Entführern auf die Schliche, da eine Zeugin ein verdächtiges Auto in der Nähe der Brücke beobachtet hat: Die beiden Brüder, Karsten (27) und Daniel (22) H. werden festgenommen und später verurteilt. „Dem Jüngeren wird später auch sexueller Missbrauch des Mädchens zur Last gelegt“, heißt es im Buch.

„Feiertagsmörder“ verliert seine Kamera

Eine brutale Mordserie erschütterte Essen ab Mai 1987. Fünf Frauen hat Ulrich Schmidt, der „Feiertagsmörder“ getötet. Seinen Opfern lauerte er meist an Feiertagen auf. Außerdem gingen zwei Mordversuche und acht weitere Vergewaltigungen auf sein Konto. Zunächst war kein Zusammenhang erkennbar. „Die älteste der Frauen (81) musste sterben,weil der Mörder Bargeld suchte, 150 D-Mark und eine Stange Zigaretten erbeutete er. Eines der jüngsten Opfer(23) war offenbar einem Sexualtäter zum Opfer gefallen,die junge Frau wurde vergewaltigt, dann erstochen“, heißt es im Buch. Schließlich half der Zufall: Als Schmidt im August 1989 versuchte, eine 38-Jähriger in ihrer Rüttenscheider Wohnung zu überfallen, eilten Nachbarn zur Hilfe. Auf der Flucht verlor der Täter seine Kamera. Die Polizei wertete die Bilder aus und fand Fotos von einem blauen Opel Rekord D, die sie zum Halter führten. Die Ermittler nahmen Schmidt fest.

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Eine vergessener Heldin und Erinnerungen an einen Flugzeugabsturz 

„Menschen“ haben die Autoren ein weiteres Kapitel betitelt. Hier berichten sie beispielsweise von Anneliese Graes’ mutigen Verhandlungen mit den Olympia-Attentätern. Die Kriminalhauptkommissarin sei eine in Vergessenheit geratene Heldin: Die Essenerin verhandelte am 5. September 1972 bei den Olympischen Spielen in München mit den palästinensischen Terroristen. „Sie setzte ihr Leben aufs Spiel, um die Gewalttäter zur Aufgabe zu bewegen und die israelischen Geiseln frei zu bekommen.“

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Graes gehörte zu den NRW-Beamten, die bei Olympia als Ordnungskräfte im Einsatz waren. Als sie von der Geiselnahme gehört habe, habe sie nicht auf die Anweisung ihres Chefs gewartet, sondern gehandelt. Sofort eilte sie zum Tatort, suchte das Gespräch mit den Geiselnehmern, baute Vertrauen auf und diente als Vermittlerin. 1974 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz.

Flugzeugabsturz im Jahr 1988

Großes Fest zum Geburtstag

Die Polizei feiert den 110. Geburtstag mit einem großen Bürgerfest. Los geht es am 24. August um 11 Uhr.

Vor und im Polizeipräsidium an der Blücherstraße stellt die Behörde ihre Arbeit vor. So zeigen die Polizeihunde ihr Können und die SEK-Beamten seilen sich vom Dach des Präsidiums ab.

Polizeipräsident Frank Richter und Innenminister Herbert Reul eröffnen das Fest. Die Veranstaltung endet um 18 Uhr.

Im Kapitel „Menschen“ erzählen Polizisten auch von ihren persönlichen Erlebnissen. So beschriebt Polizeihauptkommissar Jürgen Tonscheidt den Einsatz, den er nie vergessen wird: Am 8. Februar 1988 stürzte ein Flugzeug in die Ruhrwiesen. Niemand überlebte. „Uns Einsatzkräften bot sich am Absturzort ein schreckliches Bild im Schneegestöber“, schildert Tonscheidt. „Die vollkommen zerborstene Maschine hatte sich in den Boden gebohrt. Der tiefmorastige Winteracker war übersät von Leichen, Wrack- und Gepäckteilen.“

Der Polizist erinnert sich: „Ein Bild am Unglücksort hatte sich mir besonders eingeprägt: Im Schlamm lag eine geöffnete Geldbörse. Ich sah das Bild einer glücklichen Familie, Vater und Mutter mit zwei kleinen Kindern. Nun gehörte dieser Vater zu den Todesopfern des Absturzes.“

Tödliche Schüsse und der „Essener Kessel“ 

Das legendäre Beatles-Konzert in der Grugahalle, RWE-Spiele, Papst-Besuch oder Katholikentag: Die Polizei hat unzählige Großeinsätze absolviert. Ihnen ist das Kapitel „Im Einsatz“ gewidmet. Auch dieser Teil des Buches ist gespickt mit zahlreichen historischen Bildern.

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Auch tragische Einsätze kommen zur Sprache, wie der Fall Kemal C.. Der 13-Jährige wurde 1989 von Beamten in einer Kleingartenanlage an der Berliner Straße erschossen. Zuvor habe der Schüler einem Polizisten die Waffe aus dem Holster gerissen, damit gedroht und auf Beamte und Schaulustige gezielt, schildern die Autoren. Der Einsatz wurde damals sehr kontrovers diskutiert. Die Polizei musste sich der Frage stellen, wie die Situation so eskalieren konnte. Später wurde bestätigt, dass die Polizei in Notwehr gehandelt habe.

In die Schlagzeilen kam die Polizei im Dezember 1994 beim EU-Gipfel in Essen: Bei einer Demonstration wurden mehr als 900 Menschen stundenlang festgehalten. Medien sprachen vom „Essener Kessel“. „Die Betroffenen beklagten Polizeiwillkür, da offenbar auch unbeteiligte Passanten, die für einen Weihnachtsbummel in der Stadt waren, in den Kessel geraten waren“, heißt es im Buch.