Essen. Die Franziskusschwestern der Familienpflege haben ihr 100-jähriges Bestehen gefeiert. Zum runden Geburtstag gab es Currywurst und viele Pläne.
Wenn man nach dem Durchschnittsalter der 19 verbliebenen Franziskusschwestern der Familienpflege im Bistum Essen fragt, wird Schwester Judith Schmidt noch resoluter, als sie ohnehin schon ist. „Wir sind alle unter 100“, sagt die Generaloberin der klein gewordenen Essener Gemeinschaft in Schönebeck und spielt damit auf das Jubiläum an, das ihre Gemeinschaft am Sonntag gefeiert hat. „Das 100-jährige konnten wir nur deshalb feiern, weil alle Mitschwestern ein Leben lang ihren Dienst getan haben“, stellt die 71-Jährige fest, und: „Wir gehen fröhlich auf unser Ziel zu, haben immer getan, was nötig war. Da gibt’s jetzt nix zu jammern.“
Weil sie sich rechtzeitig um die Verpflichtungen und Bedürfnisse der kleiner werdenden Gemeinschaft gekümmert haben, sehen die Schwestern keinen Grund zum Klagen, sondern konnten ein großes Jubiläumsfest mit Gottesdienst, einem launigen Programm und dem unangefochtenen Lieblingsgericht der Schwestern feiern: Currywurst mit Pommes.
Das alte, hinfällige Mutterhaus wartet auf eine Entscheidung des Denkmalamtes
Gefeiert wurde in den Räumen des 2013 neu erbauten Klosters. „Wenn wir noch etwas für uns bewegen wollten, kamen wir um diesen Neubau nicht herum“, ist Schwester Judith überzeugt und weist durch das Fenster auf das betagte Mutterhaus auf dem Grundstück, das viel zu groß, hinfällig und unbewohnt auf eine Entscheidung des Denkmalamtes wartet. Einen Investor gäbe es schon.
Die Anfänge: Hilfe für Familien in Not
Die Gründung der Gemeinschaft im Jahre 1919 geht auf den Franziskanerpater Quintinus Wirtz zurück. Die vielfältige Not nach dem ersten Weltkrieg, von der besonders die Familien des Ruhrgebietes betroffen waren, machte er zu seiner eigenen. Er sah die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn die Mutter in der Familie, aus welchem Grund auch immer, ausfällt.
Also rief der Franziskanerpater junge Frauen in Essen dazu auf, in solchen Familien auszuhelfen. Mit dem Namen „Franziskusschwestern der Familienpflege“ verbinden die Schwestern bis heute ihr Sein und ihre Lebensform.
Im neuen Haus mit seinen 30 komfortablen Zimmern geht es dagegen sehr lebendig zu. Bereits seit 20 Jahren leben indische Karmelitinnen bei den Franziskusschwestern. Man wohnt und betet zusammen, genießt gemeinsam scharfes indisches Essen. Priester aus Indien, die im Ruhrgebiet ihre pastorale Ausbildung erhalten, leben jeweils ein Vierteljahr mit im Kloster. Einmal jährlich verbringen Klarissen, die daheim in Klausur leben und nie vor die Tür gehen, bei den Franziskusschwestern ihren „Kreativ-Urlaub“. Der Altenpflege-Nachwuchs wohnt während der Ausbildung hier, und auch jungen Frauen in ihrer Findungsphase stehen die Türen offen.
Die Schwestern tun heute noch, was sonst niemand tun würde
Einige wenige Franziskusschwestern, sieben insgesamt, sind an zwei alten Standorten in Paderborn und Schleiden in der Eifel geblieben. Die Schwestern erledigen dort ehrenamtliche Aufgaben, die sonst keiner tun würde. Wenn sie denn doch einmal ins Mutterhaus zurückkehren wollten, stände für jede ein Zimmer im Neubau bereit. Dort tätig werden, wo Hilfe fehlt, und Neues beginnen, wenn die Dinge anderweitig geregelt werden – so sind die Schwestern Jahrzehnte lang verfahren.
Dass die Franziskusschwestern als kleine, regionale Gemeinschaft zwischen den großen, alten Orden „ein bisschen anders ticken“, und dass sie unspektakulär anpacken, wo es nötig ist, hatte Schwester Judith damals als junge Leistungssportlerin auf der Suche nach einem sozialen Beruf so mitgerissen, dass sie dazu gehören wollte. Denn Familienpflege war in ihren Augen ein äußerst spannender, vielseitiger Beruf: Haushalt, Kinder, Psychologie, Pädagogik, Alten- und Krankenpflege, auch die Auseinandersetzung mit dramatischen Problemen wie Alkoholismus und Prostitution – „und ich habe eigens Mengenlehre gelernt, um den Kindern bei den Mathe-Hausaufgaben helfen zu können“.
Die Quintinusstiftung führt die Förderung der Familienpflege weiter
Dem Thema Familienpflege sind die Schwestern bis zum heutigen Tag treu geblieben. Nachdem sie in den vergangenen Jahrzehnten die großen Institutionen aus der Glanzzeit der Gemeinschaft – Krankenhäuser, Heime, Pflegeschulen – in andere Hände gegeben haben, gründeten sie mit dem Erlös die Quintinusstiftung, die das Bestehen der Gemeinschaft lange wird überdauern können. Die Stiftung gibt unbürokratische Hilfe, wenn arme Familien die Ferienfreizeit für ihre Kinder nicht bezahlen können, Senioren eine Waschmaschine brauchen oder Jugendliche ohne Unterstützung in eine Ausbildung starten. Für Schwester Judith ist die Stiftung die sinnvollste Fortführung der Kernaufgabe Familienpflege: „Es kommt nicht darauf an, wie viele wir sind, sondern wie gut wir sind.“