Essen. Von wegen „wachsende Stadt“: Eine neue Berechnung der städtischen Statistiker zeigt: Bis zum Jahr 2030 bleibt die Bevölkerungszahl nahezu stabil.
Zurück zu alter Größe, das war der Plan: Es mussten ja nicht gleich wieder 750.000 Einwohner und mehr sein wie Anfang der 1960er Jahre, aber die 600.000er Marke, die wollte Essen dann doch schon wieder hinter sich lassen. Daraus aber, so glauben jetzt die städtischen Statistiker, wird in absehbarer Zeit nichts: Ihre jüngste Prognose der Bevölkerungs-Entwicklung sieht bis 2030 allenfalls ein Plus von 1600 Essenern. Macht 592.000. Ernüchternd.
Und spürbar entfernt von jenen Zahlen, die erst vor wenigen Tagen das Statistische Landesamt IT NRW in die Welt gesetzt hatte. Die Düsseldorfer hatten Essen bis zum Jahr 2040 ein Einwohner-Plus von gut fünf Prozent vorhergesagt und für 2030 einen Stand von 604.600 Personen. Wer liegt nun richtig?
Landesstatistiker haben den Wanderungssaldo zu hoch angesetzt
Die Essener sagen: wir. Denn schon jetzt sei nachweisbar, dass die Landesstatistiker die Zuwanderung „deutlich überschätzt“ hätten, so Rüdiger Lohse vom Statistik-Amt. Mit 3600 mehr zu- als abgewanderten Personen habe man dort allein für 2018 gerechnet, tatsächlich lagen die Werte weit darunter. Da auch für die kommenden Jahren beachtliche Überhänge einkalkuliert wurden, driften die Prognosen deutlich auseinander.
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Obwohl: „Prognose“, diesen Begriff bemühen sich die Mitarbeiter im städtischen Amt für Statistik, Stadtforschung und Wahlen tunlichst zu vermeiden. Prognose, das klinge nämlich danach, „als nehmen wir für uns in Anspruch, eine tatsächliche Entwicklung zu beschreiben“, gibt Dominik Postels zu bedenken. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Amt und Mitautor des jüngsten Zahlenwerks spricht er lieber von einer „Vorausberechnung“.
Die Grundannahmen: Geburtenrate, Lebenserwartung, Wanderung
Die fußt auf dem Wenn-dann-Prinzip: Wenn ganz bestimmten Annahmen, die von den Statistik-Fachleuten erarbeitet wurden, eintreffen, nimmt die Bevölkerungs-Kurve den vorgezeichneten Verlauf. Zu den getroffenen Annahmen zählen die „Fruchtbarkeitsziffer“ und Geburtenrate der Frauen im gebärfähigen Alter von 15 bis 49 Jahren, die Lebenserwartung und Sterberaten, aber auch der Umfang der Wanderungsbewegungen, also Zu- und Fortzüge.
Selbst mit Umzügen in der Stadt wird kalkuliert, denn die Statistik entwirft nicht nur ein gesamtstädtisches Szenario, das dann dem politischen und planerischen Handeln einen Orientierungsrahmen gibt. Es beschreibt auch die Entwicklung in jedem der neun Stadtbezirke. Die Zahlen auf die Ebene der 50 Stadtteile herunterzubrechen, macht dagegen keinen Sinn, dazu ist die Datenbasis zu dünn.
Der Sterbefall-Überschuss sinkt von Jahr zu Jahr
Bei der Geburtenrate geht die Essener Statistiker von einem leichten Rückgang aus, der sich ab 2021 bemerkbar mache. Insgesamt werden bis 2030 rund 71.900 Kinder geboren, das wären im Schnitt 6000 pro Jahr. Demgegenüber dürften im gleichen Zeitraum 88.600 Menschen sterben.
Das bedeutet zwar immer noch einen Sterbefallüberschuss, der aber sinkt von Jahr zu Jahr und liegt 2030 nur noch bei 1300 Personen. Die Lebenserwartung wird sich wohl erhöhen: bei Frauen von 81,7 auf 83,1 und bei Männern von 76,8 auf 78,7 Jahre.
Mit Neubauten ein weiteres Potenzial von 5000 Personen
Das Image der Zentralstadt im Ruhrgebiet dürfte Essen nicht verlieren: Auch wenn der Wanderungssaldo (Zuzüge abzüglich Wegzüge aus der Stadt) geringer ausfällt, als mancher dachte – er wird den Sterbeüberschuss mehr als kompensieren und deshalb zu einem Bevölkerungs-Plus führen. Allerdings mit abnehmender Tendenz: 2030 läge er genau hoch wie der Sterbeüberschuss.
Und dann geht’s doch wieder abwärts? Nicht, wenn die Stadt ihre ehrgeizigen Neubaupläne umsetzt, geben die Statistiker zu bedenken. Denn dann, so heißt es, „besteht ein weiteres Wachstumspotenzial in Höhe von rund 5000 Personen“. Den Weg zurück zu alter Größe legt Essen wohl nur mit dem Bagger zurück.