Essen. Das Bürgerrathaus auf dem Gelände des alten Hauptbades findet spontan wenig Zustimmung. Fachleute halten die Architektur allerdings für gelungen.

„Ich hoffe auf engagierte Graffity-Künstler", „Essen ist und bleibt mit Blick auf die Architektur-Kultur eine Wüste“, „Als würden alle Architekten, die etwas können, einen großen Bogen um Essen machen“ – viele Reaktionen im Internet auf den erstmals veröffentlichten Architekten-Entwurf für das neue „Bürgerrathaus“ sind nicht gerade schmeichelhaft. Die Mehrheit der Bürger, die sich dort äußern, lehnt den Wettbewerbsbeitrag des Büros agn, das von der Jury mit dem 1. Preis belohnt wurde, in teils drastischen Worten ab. Fachleute wie Essens Planungsdezernent, Hans-Jürgen Best, der auch Mitglied des Preisgerichts war, stellen sich hingegen noch einmal ausdrücklich hinter das Votum. Das Bürgerrathaus werde ein „schlankes Hochhaus“ werden und sei als solches auch ästhetisch keineswegs ein Missgriff.

Das Modell des Bürgerrathauses (Mitte) im Stadtraum. Rechts erkennbar die markante Silhouette der Alten Synagoge.
Das Modell des Bürgerrathauses (Mitte) im Stadtraum. Rechts erkennbar die markante Silhouette der Alten Synagoge. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Die Jury hatte sich für ein 14-geschossiges Hochhaus entschieden, das teilweise von einem niedrigeren Gebäude mit vier Etagen eingerahmt wird. Bis Ende 2024 soll es in relativ naher Nachbarschaft von Altkatholischer Friedenskirche, Katholischem Stadthaus, und Alter Synagoge gebaut werden.

„Ein Plattenbau, genannt Bürgerrathaus“

Das Gebäude passe architektonisch zu „der hässlichen Kette aus den 1960er bis 1990er Jahren, die die sogenannte Skyline von Essen bilden“, meint Max Adelmann, bekannt als Sprecher der Initiative „Essen stellt sich quer“. Der Verein „Stadtbild Deutschland“ sieht Essen mit dem Bürgerrathaus auf dem Weg „zurück in die 1970er“ Jahre: „Jahrelange Provisorien will man durch einen Plattenbau, genannt Bürgerrathaus ersetzen.“ Das Resultat sei „gebaute Langeweile“.

Die Initiative „Essener Altstadt – für den Wiederaufbau“ nennt den Siegerentwurf sogar wenig charmant einen architektonischen „Griff ins Klo“ und wirbt für eine Rückbesinnung: „Ich hätte mir an dieser Stelle gerade wegen der Nähe zu denkmalgeschützten Gebäuden einen Entwurf gewünscht, der an alte Formensprachen anknüpft“, sagt Initiativensprecher Andreas Graeff. Statt einer glatten Fassade wäre mehr Ornament und eine stärkere Gliederung wünschenswert gewesen.

Architekt Koschany hält pauschale Hochhaus-Kritik für falsch

„Hochhaus ist in Deutschland immer böse, ein Feindbild“, seufzt der Essener Architekt Axel Koschany, der in solchen Architekturdiskussionen ein Abbild der gesellschaftlichen Debatten sieht. Stringenz und Klarheit moderner Architektur würden nicht sonderlich geschätzt, eine gewisse Kleinheit sei derzeit Trumpf. Koschany hält den Entwurf für ausgewogen. „Die Fassade ist gerade nicht aalglatt, sondern gut gegliedert, die Proportionen zwischen dem schmalen Hochhaus und dem davorliegenden Flachbau sind stimmig. Das ist gerade keine kalte Glaskiste.“

Verteidigt den Entwurf, an dem er selbst nicht beteiligt war: Axel Koschany, einer der profiliertesten Essener Architekten.
Verteidigt den Entwurf, an dem er selbst nicht beteiligt war: Axel Koschany, einer der profiliertesten Essener Architekten. © Foto: Barbara Zabka

Man müsse auch Funktion und Lage sehen, so Koschany. „Dies ist ein Bürogebäude mit hochmodernen Funktionen, da ist sowas angemessen.“ Das Hochhaus sei zudem dem Varnhorstkreisel zugewandt, an dem schon andere, aus Koschanys Sicht allerdings deutlich weniger gelungene hohe Häuser stehen. „Es steht eben nicht inmitten eines historischen Ensembles.“ Die denkmalgeschützten Bauten befänden sich nicht direkt daneben, überdies könne der Kontrast von alt und neu reizvoll sein und ein Spannungsverhältnis entwickeln. „Wenn es so entsteht, wäre das gut, der Entwurf ist sehr gelungen.“

„Besser so als woanders Grünflächen abholzen“

Auch unter den Bürgern, die sich in Netzwerken wie Facebook äußern, finden sich Befürworter, sie sind allerdings deutlich in der Minderheit. „Lieber ein Hochhaus, wo alles komprimiert auf einer Fläche ist, als woanders Grünflächen abzuholzen“, heißt es beispielsweise. Diesem Gedanken folgte auch die Stadt Essen, als sie das Areal des ehemaligen Hauptbades an der Steeler Straße und das Grundstück des alten Gesundheitsamtes an der Bernestraße für den geplanten Neubau ausguckte.

Auf rund 30.000 Quadratmetern Nutzfläche will die Stadt dort das Sozialamt sowie Abteilungen des Jugendamtes und des Job-Centers unterbringen. Das Baugrundstück ist aber nur knapp 10.000 Quadratmeter groß. Bis auf einen Entwurf verteilten alle die gewünschte Nutzfläche auf das gesamte Grundstück. Das Ergebnis: Siebengeschossige Gebäude, die dem unter Denkmalschutz stehenden Ensemble aus Altkatholischer Friedenskirche, Alter Synagoge und Katholischen Stadthaus nach dem Geschmack der Jury dann tatsächlich allzu bedrohlich nahe gekommen wären, so Planungsdezernent Hans-Jürgen Best. Allein der Siegerentwurf des Büros agn wagte sich in die Höhe und erlaubt es dem Neubau optisch von dem Denkmalensemble abzurücken.

Der Planungsdezernent rechnet mit weiteren Hochhäusern in Essen

In Essen fehle es nun einmal an Baugrundstücken, betont Best. „Dann muss man in die Höhe gehen.“ Der Stadtdirektor ist überzeugt, es wird nicht das letzte in Essen sein. „Es werden weitere Hochhäuser kommen.“

Der Verwaltung waren zwei Dinge wichtig: Die zentrale Lage, so dass die Bürger es leicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können und die „innere Erschließung“ des Gebäudes, also das Arbeitsumfeld für rund 1300 Mitarbeiter. Das Büro agn habe dies am besten gelöst. Ob das Bürgerrathaus später genau so aussehen wird, wie es auf den Computeranimationen zu sehen ist, bleibe abzuwarten. Über die Gestaltung der Fassade gab es in der Jury durchaus unterschiedliche Meinungen. Hier kann es also noch Variationen geben.