Essen-Steele. Biker aus Essen trafen sich zum Motorradgottesdienst, schwärmten von schnellen Maschinen und berichteten über ihr – oft hindernisreiches – Leben.
Schon vor Beginn des Bikergottesdienstes in der Steeler Friedenskirche ging es durchaus ökumenisch zu. Pfarrer Heiner Maushund von der evangelischen Gemeinde hatte – sehr zur Freude der anwesenden Profi- und Hobbyfotografen – Schwester Sigrid Maria von der katholischen Gemeinde St. Laurentius als Sozia aufsitzen lassen und drehte eine kleine Runde über den Kirchvorplatz. Zum zweiten Mal hatten Pfarrer Heiner Mausehund und sein Vorbereitungsteam den gesamten Kirchenkreis Essen zum ökumenischen Bikergottesdienst eingeladen. Rund 150 Motorradfahrer reisten in Bikerkluft an, parkten ihre Maschinen in Kirchennähe – praktisch für das spätere Fachsimpeln und die geplanten Ausfahrten.
Besucher waren aus dem gesamten Ruhrgebiet angereist
Viele der Besucher, die größtenteils aus Essen, aber auch aus dem gesamten Ruhrgebiet gekommen waren, frühstückten gemeinsam im Gemeindehaus. Zu Beginn des Gottesdienstes trugen Teilnehmer Pappverkehrsschilder durch die Kirche, um Vorfahrt, Einbahnstraße, Stopp und Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Straße, aber auch im Leben zu verdeutlichen. „Wir sind auf dem Weg“ lautete das Motto des Gottesdienstes, in dem es um Begriffe aus der Bikersprache ging.
Statt Predigt berichteten drei Biker aus ihrem Leben, sprachen über Motorradfahren und ihren Glauben:
Eine von ihnen: Tanja Todtberg (50), gelernte Verkäuferin, jetzt Hausfrau, überzeugte Sozia. Eigentlich wollte sie immer den Motorradführerschein machen. Doch vor ihrem 20. Geburtstag hatte sie als Sozia einen schweren Unfall, verletzte sich schwer an Knie und Schienbein, konnte ihren Beruf als Verkäuferin nicht mehr ausüben. „Es war lange nicht klar, ob ich je wieder richtig laufen würde. Das lange Stehen im Beruf ging aber sowieso nicht mehr. In dieser Zeit hat mir der Glaube Kraft gegeben“, blickt sie zurück. Den Motorradführerschein hat sie nie gemacht, aber aufgestiegen ist sie trotzdem wieder: „Ich fahre gern mit, aber nur mit meinem Mann“, sagt Tanja Todtberg, die sich heute ehrenamtlich in der evangelischen Kirche engagiert. „Ich war glücklich, dass ich 2017 einen Motorradgottesdienst in meiner Heimatgemeinde in Katernberg initiieren konnte“, sagt sie. 2018 fand dann sogar der erste stadtweite Bikergottesdienst in Katernberg statt.
Motorradgruppe sorgt für neue soziale Kontakte
Für Holger Diemann aus Holsterhausen (58) bedeutet das Engagement in der Christlichen Motorradgruppe Essen-Königssteele, wo jetzt der Bikergottesdienst stattfand, eine Rückkehr ins Leben. „Ich bin im Jahr 2000 schwer erkrankt und habe dadurch fast alle sozialen Kontakte verloren“, berichtet er. Früher sei er im CVJM Essen-West in der Jugendarbeit aktiv gewesen, bis sich die Gruppe später veränderte und dann auflöste. „Motorradfahren hat mich immer interessiert, aber meine Eltern wollten mir damals den Motorradführerschein nicht bezahlen“, erinnert sich Holger Diemann, der freiberuflich als Berater im Gesundheitswesen tätig ist. 2008 habe er den Führerschein dann gemacht. Bis er sich das erste Motorrad leisten konnte, habe es weitere neun Jahre gedauert. Eher zufällig sei er zu der Christlichen Motorradgruppe Königssteele gestoßen, die ihm neue soziale Kontakte brachte. „Wenn es am Wochenende schön ist, sind wir mit zwei bis fünf Leuten unterwegs, machen gelegentlich auch weitere Fahrten.“
Der nächste Bikergottesdienst findet in Dellwig statt
Nach Katernberg im letzten und Steele in diesem Jahr wird der nächste stadtweite Motorradgottesdienst im kommenden Jahr in Dellwig stattfinden.
Im übernächsten Jahr wollen sich die Biker dann am evangelischen Weiglehaus treffen, der dortige Pfarrer Rolf Zwick ist ebenfalls passionierter Biker.
Folker Boehl (55) ist Gründungsmitglied der Steeler Gruppe. Der passionierte Motorradfahrer ist in Sachen Gesundheit im Außendienst tätig. „Ich habe über die Motorradgruppe zur Kirche zurückgefunden“, sagt Boehl von sich. Wie Pfarrer Heiner Mausehund bedauert Boehl, dass der Motorradkorso, den es früher gegeben habe, polizeilich nicht mehr genehmigt werde. „Der hat früher schon viele Fahrer angelockt. Aber der Polizeipräsident möchte angesichts von kriminellen Motorradclubs keine solche Machtdemonstration, obwohl wir damit ja nichts zu tun haben“, so Boehl.
Schweigeminute für verunglückte Motorradfahrer
Für Pfarrer Heiner Mausehund, der auch privat mit seiner Frau auf dem Motorrad unterwegs ist, ist es wichtig, im Gottesdienst nicht nur eine Schweigeminute für verunglückte Biker zu halten, sondern angesichts der hohen Unfallzahlen mit Motorradfahrern auch das Thema Sicherheit und Verantwortung anzusprechen: „Es ist wichtig, Rücksicht zu nehmen und sich gegenseitig zu helfen.“ Die Kollekte war dementsprechend für die Gesellschaft „Mehrsi – Sicherheit für Biker“ gedacht, die sich für eine flächendeckende Anbringung eines Unterfahrschutzes an Leitplanken stark macht.