Essen. . Die Einhorn-Apotheke in der Essener City feiert ihren 400. Geburtstag. Schon seit mehr als 100 Jahren wird sie von derselben Familie geführt.

Das ehrwürdige Alter sieht man ihr nicht an: Die Einhorn-Apotheke am Markt 5, die in diesem Jahr ihr 400-jähriges Bestehen feiern kann, ist in einem nüchtern-neuem Gebäudekomplex gleich gegenüber der Marktkirche untergebracht. Schon 1619 wird die Apotheke auf dem Marktplatz urkundlich erwähnt, also zur Zeit des 30-Jährigen Kriegs. Generationen von Apothekern hatten hier Geschäft, Wohnhaus – und einen Logenplatz mit Blick auf die Geschichte der Stadt.

So erzählt Apotheker Peter Barleben: „Aus dem Fenster konnte man 1914 den Vorbeimarsch der Freiwilligen sehen, die in den Ersten Weltkrieg zogen. Und nach dem verlorenen Krieg die Demonstrationszüge der Hungernden zum Rathaus, das gleich gegenüber lag.“ Eine Aufnahme von 1920 zeige die Geschütze der Spartakisten vor der Apotheke, in der einige Tage ein Gefallener gelegen habe, der wegen der Kämpfe ums Rathaus nicht geborgen werden konnte.

Die Familie führt die Apotheke schon seit mehr als 100 Jahren

Peter Barleben (78) hat diese aufgepeitschte Zeit nicht erlebt, aber sein Großvater Erich Leimkugel war damals schon Besitzer der Einhorn-Apotheke: 1907 hatte er sie samt Haus und Warenlager für 460.000 Goldmark gekauft: „Der Apotheker musste damals im Haus wohnen.“ Im Falle der Einhorn-Apotheke war dieses Haus im Laufe der Jahrhunderte mehrfach abgerissen und leicht versetzt neugebaut worden.

Die historische Aufnahme der Einhorn-Apotheke zeigt Erich Leimkugel (2. v. r.) im Jahr 1917 mit seinen Mitarbeitern.
Die historische Aufnahme der Einhorn-Apotheke zeigt Erich Leimkugel (2. v. r.) im Jahr 1917 mit seinen Mitarbeitern. © FUNKE Foto Services | Repro: Kerstin Kokoska

Peter Barleben ist mit seiner Großmutter, seiner Mutter und den Geschwistern über der Apotheke groß geworden. Sein Vater war im Zweiten Weltkrieg gefallen, sein Großvater starb 1947. Die völlig zerstörte Apotheke wurde zwar wieder aufgebaut, doch die Familientradition drohte, ein Ende zu finden: Seine Oma musste die Apotheke verpachten. „Ich habe meinen Großvater kaum kennengelernt, aber er war ein großes Vorbild.“ Auch als widerständiger Geist, über den Bundespräsident Theodor Heuss in einem Brief von 1953 schreibt: „In seiner Apothekerstube haben wir damals erörtert, was gesagt werden muss, was gesagt werden darf und was man jetzt besser hier an dieser Stelle nicht sagt.“

Apotheker wurde mit dem Messer bedroht

Und so eifert Peter Barleben dem Großvater nach, ist wie dieser politisch aktiv – erst in der FDP, dann im Essener Bürgerbündnis – studiert Pharmazie, übernimmt 1972 die Apotheke als Pächter seiner Großmutter. Er führt sie 37 Jahre lang, engagiert sich außerdem in der Apothekerkammer und als Handelsrichter. „Als die Kinder klein waren, war ich manchmal ganz schön sauer, dass mein Mann so viel weg war“, erzählt Irmela Barleben (75). Als die Kinder größer waren, habe sie dann selbst stundenweise in der Apotheke mitgeholfen.

„Ich war in erster Linie mit der Apotheke verheiratet“, räumt Peter Barleben ein. Auch weil es ein Beruf sei, auf den das harte, naturwissenschaftliche Studium allein nicht vorbereite. „Man muss die Menschen mögen, sich ihnen zuwenden. Und wenn sie knatschig, verstört oder schwierig sind, muss man darüber stehen.“ Er sei in den vielen Berufsjahren auch schon mit einem Messer und einmal mit einer Spritze bedroht worden, habe daher immer einen Gummiknüppel unter der Theke gehabt. Viele Menschen habe er aufgewühlt erlebt, intime Dinge erfahren. Mancher frage erst den Apotheker, nicht den Arzt: „Wir haben da eine soziale Filterfunktion und müssen auch mal sagen: Jetzt sollten Sie doch den Arzt aufsuchen.“

Tochter wuchs mit den Gerüchen von Salben und Teemischungen auf

Ganz ähnlich erlebt es seine Tochter Birte Barleben (44), die schon als Kind in der Apotheke verstecken gespielt hat, die mit den ungewöhnlichen Gerüchen, der oft selbst hergestellten Teemischungen, Salben und Kapseln aufwuchs. Später hat sie eine Ausbildung als Pharmazeutisch-Technische Assistentin gemacht, danach auch Pharmazie studiert. Seit nunmehr zehn Jahren leitet sie selbst die Einhorn-Apotheke, ist allerdings nicht täglich im Dienst: Ihre beiden Kinder sind erst zwei und sieben Jahre alt und sie hat oft das Gefühl, „dass ich irgendwo immer fehle, entweder hier oder zu Hause“.

Trotzdem würde sie diesen „schönen Beruf“ wieder ergreifen und obwohl viele Menschen ihre Medikamente online bestellen oder mit einer im Internet recherchierten Selbstdiagnose kommen, glaubt sie an die Zukunft der Apotheke: „Wir hören zu, beraten und haben viele Stammkunden, die wir gut kennen.“ Als sie im Advent 2018 mit dem Wohlfahrtsverband CSE den „Wunschbaum für Senioren“ aufstellte, waren im Nu alle Wunschzettel vergeben, wurden mehr als 100 Geschenke für bedürftige ältere Menschen besorgt und schön verpackt bei Birte Barleben abgegeben.

Gleich nach der Liebesnacht den Schwangerschaftstest kaufen

Gerade im Nachtdienst müsse sie bisweilen übrigens auch echte Aufklärungsarbeit leisten, sagt Birte Barleben: Da klingeln junge Frauen und fragen gleich nach der Liebesnacht nach einem Schwangerschaftstest. „Die glauben, es lasse sich bereits feststellen, ob sie schwanger sind – die müssen leider später noch mal wiederkommen.“