Essen. Der Denkmalschutz hat der Karstadt-Zentrale nicht geschadet: Auch 50 Jahre nach dem Bau hat sie Vorzeigecharakter. Architekt Brune weiß, warum.
Dass das Leben eine einzige Baustelle ist – wer sollte das besser wissen als ein 93-jähriger Architekt? Also hat Walter Brune für die staunende Runde ein paar Tipps zum Älterwerden parat: „Nicht rauchen!“, warnt er da und rudert mit den Armen: „Jeden Morgen eine Stunde Sport!“ Dazu abends ein Fläschchen alkoholfreies Bier: „Können Sie alles nachmachen.“ Man das Gefühl, das Zeitlose dieses Baus, sein Meisterstück, hat ein bisschen auf den Baumeister abgefärbt,
der schon vor einem halben Jahrhundert zur Eröffnung in genau diesem Foyer stand. Und der sich nun mit Dutzenden Teilnehmern einer abendlichen Architektur-Führung freut, wie die alte Karstadt Hauptverwaltung fröhliche Urständ’ feiert.
Denn der gigantische Gebäudekomplex an der Theodor-Althoff-Straße, er ist voll vermietet, auf Jahre und Jahrzehnte hinaus: Keine schlechten Aussichten für eine Büro-Immobilie, der mancher schon ein langes Siechtum prophezeite, wo doch vor zwei Jahren der Denkmalschutz seine Fittiche über dem 100.000-Quadratmeter-Areal ausbreitete.
Vorbild fürs Bundeskanzleramt in Bonn
Jetzt preist man wieder die flexible Raumgestaltung der Großraumbüros, lobt die nach außen verlegten Treppenhäuser, die lichtdurchfluteten Räume durch bodentiefe Fenster und Laufgänge, die für Sonnenschutz ebenso sorgen wie für eine pflegeleichte Fassadenreinigung. Der Fassade wegen wurde sogar die Bundesbaudirektion bei ihm vorstellig, um sich die Konstruktion für ein anderes Bauwerk abzuschauen: das Bundeskanzleramt in Bonn. Sie haben es allerdings, sagt Brune heute bedauernd, mit braunem Aluminium verhunzt: „Da ist der Charme weg.“
Was man vom Essener Original nicht sagen kann: „Innovativ“, „vorbildlich“, „herausragend“ – das Urteil der Denkmalschützer atmet die Begeisterung für einen großen architektonischen Wurf auf der grünen Wiese, bei dem sich der Warenhaus-Konzern nicht nur mit ein bisschen Feigenblatt-Kunst am Bau zufrieden gab, sondern das Vorhaben als eine Art Gesamtkunstwerk inszenierte.
„Das ist kein Dach, das ist ein Kunstwerk“
„Da ist richtig viel Geld ausgegeben worden“, freut sich Brune auch noch 50 Jahre danach: Kein Flur, der schmucklos blieb, alle vier Wochen gab es ein Treffen mit dem für das Projekt zuständigen und kunstsinnigen Karstadt-Vorstand Walter
Deuss und dem damaligen Chef des Museums Folkwang, Paul Vogt. Das meiste ist längst aus dem Haus, seit Karstadt – finanziell vor dem Abgrund – alles zu Geld machen musste. Es war, seufzt Brune hinzu, ein lohnendes Investment: Erlöst wurde das Zwanzigfache des damaligen Kaufpreises.
Sein eigener Beitrag immerhin blieb, es ist das ausladende Vordach der Unternehmenszentrale, eine schwierige Konstruktion, für die immerhin eine Million D-Mark locker gemacht werden musste. Karstadt tat sich schwer damit, räumt Brune ein, am Ende aber fand er Gehör: „Das ist kein Dach, das ist ein Kunstwerk.“
Bekannt dafür, Kosten und Termine einzuhalten
Bei alledem kann ein Walter Brune sich erlauben, sein Licht etwas unter den Scheffel zu stellen. Dass er, der in Deutschland zuvor mehr als ein halbes Dutzend Kaufhäuser für Karstadt gebaut hatte, auch den Auftrag für die Hauptverwaltung bekam, erklärt er weniger mit seiner baumeisterlichen Brillanz. Sondern? Mit seiner finanziellen Zuverlässigkeit. „Mein Privileg war nicht so sehr die Architektur“, sagt er, entscheidend vielmehr: Der Brune, „der hat die Kosten immer eingehalten – und die Termine“.
Ein simpler Trick, meint der: „Zu meinem Team gehörte damals auch ein Diplom-Kaufmann. Der achtete auf die Preise.“ Fünfzehn Prozent des Honorars wurden erst ausbezahlt, wenn der Rahmen stimmte: fünf Prozent für die Termintreue, fünf für die Kostendisziplin, fünf dafür, dass zur Abnahme keine größeren Mängel festgestellt wurden.
Vor 50 Jahren – ein Haus für 2300 Karstädter
Die Zeitungen brachten die gute Nachricht am 3. August 1965: Auf einem elf Hektar großen Brachland von Krupp, so hieß es da, baut Karstadt „ein neues Haus für 2300 Angestellte. Zunächst entstanden drei quadratische Baukörper mit 70 Metern Kantenlänge, zehn Jahre später kam ein viertes Gebäude dazu.
Der erste Spatenstich erfolgte im Spätsommer 1967, bereits zwei Jahre später war der 75 Millionen D-Mark teure Komplex, gebaut nach Plänen des Düsseldorfer Architekten Walter Brune, bezugsfertig.
Brune sicherte sich die 15 Prozent immer, und das Vertrauen, dass er diese Zuverlässigkeit auch beim Bau der Hauptverwaltung unter Beweis stellen würde, sicherte ihm auch den 75-Millionen-D-Mark-Auftrag. Dabei winkte ausgerechnet die Stadt Essen zunächst ab, wie Brune sich erinnert: Der damalige Oberbürgermeister Wilhelm Nieswandt („Der schlief immer ein bei den Verhandlungen“) habe für das größte Essener Gebäude nach dem Krieg einen internationalen Wettbewerb gefordert.
Doch Karstadt mochte sich nicht unter Druck setzen lassen: Man guckte ein Gelände neben dem Düsseldorfer Flughafen aus und schrieb der Stadtverwaltung, sie habe nunmehr acht Tage Zeit, den Architekten des Karstadt-Vertrauens zu akzeptieren. Ansonsten werde die Zentrale in Düsseldorf entstehen.
Nach drei Tagen, sagt Brune, war das Okay da.