Essen. . Die Keramische Werkstatt von Young-Jae Lee liefert Teller und Tassen in alle Welt. Gefäße sind Kostbarkeiten für den Alltag. Schau im Bauhausjahr
Das kreative Reich der Young-Jae Lee liegt hinter efeuumrankten Mauern in einem verwunschenen Garten. Nur einen Steinwurf entfernt von Essens Welterbezeche Zollverein arbeitet eine der renommiertesten Keramik-Manufakturen immer noch fast im Verborgenen. Die handgearbeiteten Tassen, Teller und Schalen werden von hier aus in alle Welt geliefert. Französische Edelrestaurants, das jordanische Königshaus oder Star-Regisseur Robert Wilson haben schon Geschirr made auf Zollverein geordert.
Doch das kleine Team um Young-Jae Lee arbeitet trotz des internationalen Erfolges mit der Demut und Bescheidenheit, die auch die Gefäße ausmachen. Nichts will hier imponieren, blenden, alles ist auf Klarheit, Funktionalität und Nutzbarkeit ausgerichtet. Im Mai allerdings wird eine Ausnahme gemacht. Dann ziehen die edlen Schalen und filigranen Vasen ins Museum. Das Museum Folkwang und die Stiftung Zollverein widmen der koreanischen Keramik-Künstlerin Einzelpräsentationen. Auch das Ruhr Museum zeigt im Bauhausjahr derzeit ihre Steinzeug im Rahmen der Ausstellung „Aufbruch im Westen. Die Künstlersiedlung Margarethenhöhe“.
Dass dieser Bauhaus-Gedanke an der Bullmanaue immer noch gelebt wird, spürt man schon beim Betreten der Keramischen Werkstatt. Vorbei an Brennöfen und Regalen mit stapelweise Schüsseln und Schalen, den ausgedienten Majonnaise-Eimern voller Glasurfarben und Wandschränken mit Kunstkatalogen, geht es in die kleine Gemeinschaftsküche, wo man die Produkte beim gemeinsamen Mittagessen gleich in Benutzung erleben kann. Das Miteinander von Leben und Arbeit, von bildender Kunst und Handwerk,dieses Bauhaus-Credo hat an der Bullmannau noch Bestand. Wie auch der Designleitsatz, dass die Form der Funktion folgen soll.
Jede einzelne Teeschale ist mit Liebe und Hingabe geformt
Diese Grundformen sind so einfach wie bestechend, dass sie sich seit Jahrzehnten kaum geändert haben. Während die Hatz nach dem Neuen, dem Marktgängigen, dem Wachstum andernorts die Produktion bestimmt, übt man sich in der Keramischen Werkstatt in der Kunst der Beständigkeit. Mögen die Kunden-Nachfragen und Sammler-Wünsche auch größer werden, man will sich nicht verzetteln. „Wir können ja nicht schneller drehen“, lächelt Keramikerin Daniela Glattki. Der Wert jeder einzelnen Tasse, jedes Tellers, das sei schließlich nicht das Label „Keramische Werkstatt“, sondern die Liebe und Hingabe, die in jeder Teeschale stecke, sagt Young-Jae Lee.
Es gibt keine Schablonen, keine Vorlagen, jeder Brotteller, jede Müslischale ist ein Unikat, geformt aus Konzentration und jahrzehntelanger Erfahrung. „Nicht ich drehe die Scheibe, sondern die Scheibe dreht,“ hat Lee diesen Vorgang der Verinnerlichung einmal beschrieben, bei dem die Wiederholung der immergleichen Handgriffe keine Routine ist, sondern eine kontemplative Übung, ein stetes Ringen um die vollendete Form. Michael Schmand sitzt seit 45 Jahren an der Drehscheibe, der gehörlose Keramiker sei eine der großen Stützen der Werkstatt, erklärt Shoko Ishioka, die einst in einer japanischen Fachzeitschrift von der Keramischem Werkstatt gelesen hatte. Eigentlich wollte sie nur einen Monat bleiben, inzwischen sind es 15 Jahre, berichtet die Keramikerin.
Auch die 1951 in Seoul geborene Young-Jae Lee ist in Deutschland geblieben. Hier findet die Koreanerin nach ihrem Studium „die beste Technologie weltweit“. Und Mitte der 1980er Jahre findet sie in Essen auch ihr schöpferisches Zuhause – die Keramische Werkstatt. 1924 von Margarete Krupp auf der Margarethenhöhe gegründet und bald darauf nach Zollverein verlegt, wird das ehemalige Baulager der Welterbezeche ihre Heimat. Heute ist die Keramische Werkstatt in Essen nicht nur eine mit Museumsanfragen bedachte und mit Preisen überhäufte Manufaktur, die nach Japan, Amerika und Frankreich liefert, sondern auch die einzige Ausbildungsstätte in NRW. Drei Lehrlinge und Praktikanten üben sich derzeit in der Herstellung der Gefäße in zartem Jadegrün, milchigem Weiß und Rostbraun.
Die Exklusivität freilich hat ihren Preis. Eine Dessertschale gibt es für rund 50 Euro, für einen Teller muss man schon mehr als das Doppelte investieren. Wer sich für Geschirr aus der Keramischen Werkstatt entscheidet, will Klasse statt Masse. Der Respekt vor dem Material ist auch das Markenzeichen der Keramischen Werkstatt. „Wenn es in den Ofen kommt, muss es einfach gut sein“, sagt Daniela Glattki. Und vor allem muss es benutzt werden. Wer sich ein Stück der Kollektion aussucht, soll es bitteschön nicht nur in den Schrank stellen. Die Teller und Tassen sind sogar spülmaschinenfest.
Auf Zollverein in Essen entsteht Keramik in Handarbeit
>> IM MUSEUM FOLKWANG UND AUF ZOLLVEREIN
- Die Keramische Werkstatt Margarethenhöhe besteht seit 1924. 1933 wechselt der Betrieb von der Künstlersiedlung Margarethenhöhe in ein Gebäude der Zeche Zollverein, 1987 zieht die Werkstatt in das Baulager der Zeche Zollverein.
- Seit 1987 leitet die in Seoul geborene Künstlerin Young-Jae Lee die Keramische Werkstatt. Im Museum Folkwang wird sie vom 23. Mai bis 14. Juli ihre Serie der Spinatschalen vorstellen, die die Geschichte der japanischen Teeschalen aktualisiert.
- Eigene Keramiken sowie Werke ausgewählter Künstler aus Breslau und Seoul finden vom 24. Mai bis 30. Juni in der Trichterebene der Zollverein-Mischanlage, Kokereiallee, zu einer Rauminstallation zusammen.