Essen. . „Kindertragödie“ mit Gitarren: Folkwang-Studenten machen aus Wedekinds „Frühlings Erwachen“ eine Musical-Produktion mit zeitlosen Konflikten.

„Sex sells“ heißt es heute lapidar. Als Frank Wedekind sein Pubertätsdrama „Frühlings Erwachen“ Ende des 19. Jahrhunderts auf die Bühne bringen will, lässt sich die Geschichte über die ersten erotischen Erfahrungen von Jugendlichen und ihr Leiden daran überhaupt nicht verkaufen. Die Uraufführung findet erst 1906 statt, damals ein veritabler Theaterskandal. Dass Wedekinds „Kindertragödie“ auch 100 Jahre später in einer längst als übersexualisiert geltenden Gesellschaft immer noch bewegen kann, das wollen die Studierenden des 3. und 4. Studiengangs Musical an der Folkwang Universität der Künste ab Samstag präsentieren.

In der Neuen Aula in Werden probt Gast-Regisseurin Nicola Claudia Weber mit den jungen Folkwang-Darstellern derzeit „Spring Awakening“ ein. Das Broadway-Musical verbindet den provokanten Theaterstoff aus wilhelminischer Zeit mit gitarrenbetonten Songs aus der Feder von Duncan Sheik. Unter der Leitung von Folkwang-Professorin Patricia Martin werden die Lieder auf der Bühne live von Musikern der Studiengänge Jazz und Instrumentalausbildung begleitet.

Gast-Regisseurin Nicole Claudia Weber freut sich über die Zusammenarbeit mit den Musical-Studenten der Folkwang Universität der Künste.
Gast-Regisseurin Nicole Claudia Weber freut sich über die Zusammenarbeit mit den Musical-Studenten der Folkwang Universität der Künste. © V. Wegener

Die Produktion ist Teil der Abschlussprüfung der fünf Hauptdarsteller, die sich in dem Wedekind-Musical nicht nur gesanglich und tänzerisch beweisen können, sondern auch schauspielerisch glänzen dürfen. Die Möglichkeit, „mit allen Ausdrucksmöglichkeiten“ vertraut gemacht zu werden, sei das große Plus der Ausbildung, sagt Florian Sigmund. Der interdisziplinäre Ansatz, das Miteinander von Tanz, Schauspiel, Gesang und Physical Theatre, das alle Folkwang-Studenten im ersten Jahr gemeinsam absolvieren, das mache das Studium eben aus, pflichtet auch Jessica Trocha bei. Auf der Bühne schlüpfen sie in die Rolle von Jugendlichen, die im wilhelminischen Korsett von Prüderie und Bigotterie so eingezwängt werden, dass die 14-jährige Wendla (Lara Hofmann) nach einer illegalen Abtreibung stirbt. Der rebellische Melchior landet im Erziehungsheim, während sein sensibler Freund Moritz den Freitod wählt, weil er dem Druck von Schule und Erziehung nicht standhält.

In der Regie von Nicola Claudia Weber hingegen haben die Folkwang-Absolventen alle Freiheiten genossen, „während des Probenprozesses wurde auch viel improvisiert“, berichtet Nico Hartwig. Der Gemeinschafts-Prozess ist der Regisseurin wichtig.„Ich sehe hier politische und gesellschaftskritische Menschen. Das ist wichtig für die Entwicklung von Musical“, sagt Weber, die sich auf den Theaterbühnen für die Zukunft mehr Offenheit und eine stärkere Durchmischung der Genres wünscht.

Kein Musical-Mainstream, sondern Stücke mit Anspruch

Der Folkwang-Studiengang Musical nimmt diese Aufgabe seit Jahren ernst. Statt auf bekömmlichen Musical-Mainstream setzt man hier seit vielen Jahren auf Produktionen mit musikalischem und darstellerischem Anspruch. 2017 gab es die Uraufführung des „Goethe“-Musical, Arthur Schnitzlers „Der Reigen“ wurde 2016 in dem Musical „Hello Again“ neu aufgegriffen. „Spring Awakening“ soll mit seinen Themen wie erwachender Sexualität und Schulversagen nach Ansicht von Nicola Claudia Weber einen Blick in das Seelenleben junger Menschen erlauben: „Ich glaube, dass sich die Not von Jugendlichen nicht groß verändert hat“, sagt die Regisseurin. Nur sei aus dem Druck einer prüden Gesellschaft heute die Überforderung durch die sozialen Medien geworden.

>>MUSICAL HAT VIELE PREISE GEWONNEN

  • Die Produktion „Spring Awakening“ ist vom 13. bis 18. April an fünf Abenden in der Neuen Aula der Folkwang Universität der Künste, Klemensborn, zu erleben. Premiere ist am Samstag, 13. April, 19.30. Karten (10/erm. 5 €) unter 4903-231.
  • Das Musical „Spring Awakening“ feierte seine Off-Broadway-Premiere 2006 in New York. Mittlerweile hat es zahlreiche Preise gewonnen, darunter acht Tony Awards.