Essen. . Die Ausleihzahlen sinken, die Besucherzahl steigt. Für das neue Nutzerverhalten müsse man ein neues Konzept finden, meint der Bibliotheks-Chef.
In der Bibliothek von Helsinki haben sie auf 10.000 Quadratmetern Platz für täglich zigtausend Besucher gemacht. Im dänischen Aarhus stehen die Bücher nur noch in Nebenräumen, während der zentrale Raum für Workshops, Kurse und Spielen freisteht. Und in Köln-Kalk kann man sehen, wie eine Stadtteilbibliothek der Zukunft aussieht: offen, einladend, modern. Wenn Essens Bibliotheks-Direktor Klaus-Peter Böttger solche Beispiele im Essener Kulturausschuss präsentiert, dann geht es ihm vor allem darum, die Veränderung zu dokumentieren. Die analoge Ausleih-Adresse mit kilometerlangen Regelmetern ist auf dem Weg zum zentralen Ort der Begegnung und Wissensvermittlung – wenn sie denn einladend genug gestaltet ist.
„Man muss eine Strategie für die Veränderung der medialen Nutzung finden“
Die Frage ist, wie weit Essen diesen Wandel in den kommenden Jahren mitgehen will. Denn die Mittel sind knapp. Erst im vergangenen Kulturausschuss wurde bekannt, in welchem teils beklagenswerten Zustand die 16 Essener Stadtteilbibliotheken sind – mit veraltetem Mobiliar, kaputten Fenstern und nur selten barrierefreien Zugängen. Doch der Renovierungs-Stau zwischen Katernberg und Kettwig solle auch nicht davon abhalten, über eine Neuausrichtung dieser Zukunfts-Adresse namens Bibliothek nachzudenken, findet Böttger. „Man muss eine Strategie für die Veränderung der medialen Nutzung finden.“ Für den Direktor steht fest, dass viele Bibliotheken im Land in der Vergangenheit nicht nur klein gespart worden sind. Man habe sich auch selber klein gemacht, findet der Bibliotheks-Chef. Indem man beispielsweise nur die Nutzer gezählt habe, also die Menschen, die mit ihrem Bibliotheksausweis regelmäßig etwas ausleihen. 57.000 sind das in Essen. Dagegen stehen jährlich 1,1 Millionen Besuche. Die Zahlen klaffen auseinander. Steigende Besucherzahlen stehen sinkenden Ausleihzahlen gegenüber.
Wer sich einmal nachmittags in der Zentralbibliothek an der Hollestraße umschaut, der erkennt schnell, woran das liegt. Die mehr als 100 Tische sind allesamt besetzt, allein über 200 Schüler nutzen die Bibliothek als Treffpunkt, Aufenthaltsort und Lernraum. Mädchen mit Kopftüchern brüten über ihren Hausaufgaben, ein paar Jungs lümmeln auf den frisch angeschafften Sonic-Chairs und hören über Kopfhörer Musik, am Nachbartischen recherchieren Studenten am Laptop für ihre Magisterarbeit, während nebenan temperamentvoll Computerspiele ausprobiert werden.
Mehr Platz für laute und leise Aktivitäten
Wenn es nach Böttger ginge, braucht die Bibliothek der Zukunft deshalb vor allem mehr Freiraum – mit Platz für laute und leise Aktivitäten, mit einem Makerspace und einem 3D-Drucker vielleicht. Denn längst ist das Buch nur noch eines von vielen Angeboten, neben Hörbüchern, Musik-CDs, E-Books, Zeitungstiteln, Computerspielen, Sprachkursen und diversen Computernutzungsangeboten.
Im jüngsten Kulturausschuss hat Böttger deshalb auch einen Bibliotheks-Wertrechner vorgestellt, der den bisherigen Bibliotheks-Index ersetzten soll. Statt der Ausleihzahlen als alleinige Vergleichsgröße geht es darin um den Gesamtwert aller Medien und Dienstleistungen. Und der – das listet dieser aus den USA importierte Werterechner auf – sei vier Mal höher als das, was die Stadt jährlich investiert. Sprich: Aus den zehn Millionen werden am Ende stattliche 43 Millionen Gesamtwert.
Ob solche Zahlen am Ende dazu führen werden, dass Essen es sich leistet „noch einmal größer zu denken“, wie es sich FDP-Politiker Karlgeorg Krüger wünscht? Ein Neubau scheint angesichts des aktuellen Renovierungsstaus der Stadtteilbibliotheken allerdings eher unwahrscheinlich. In der jetzigen Situation wäre das „ein Paradigmenwechsel“, sagt Lisa Mews von den Grünen. Trotzdem wünsche man sich „Hinweise für die Haushaltsplanungen“, sagt Hans Aring (SPD). Und auch Kulturdezernent Muchtar Al Ghusain, der ein Bibliotheks-Projekt noch an seiner vorherigen Wirkungsstätte Würzburg begleitet hat, will keine Denkverbote. Wichtig sei, erst einmal zu ermitteln, „was diese Stadt braucht und in welcher Form“, betont Böttger. Und dazu wird am Ende auch die Frage gehören, wie viel stadtteilnahe Versorgung es braucht.
>>MEHR ALS 700.000 MEDIEN IM ANGEBOT
Mehr als 700.000 Medien stellen die Büchereien in all ihren Zweigstellen bereit.
Bücher, Zeitschriften und Noten machen den Großteil aus. Hinzu kommen die sogenannten Nicht-Buch-Medien, allen voran CDs, DVDs, Brett-, PC- und Konsolenspiele.