Ruhrgebiet. . Experten warnen vor einer übertriebenen Selfie-Inszenierung. Einige Frauen legen sich für das perfekte Foto sogar unters Messer.
Barbie-Pose, James-Dean-Blick und Duck-Face, das Schnuten-Gesicht: Auf Facebook, WhatsApp und Instagram treffen sie sich und oft auch im Fotospeicher des eigenen Smartphones. Seitdem Fotos nicht mehr aufwendig und kostspielig im Laden von einem Negativ auf Papier abgezogen werden müssen, um sie vorzeigen zu können, nimmt die Bereitschaft zum schnellen „Klick“ zu. Genauso wie der Spaß an einer lange vorbereiteten Selbstinszenierung.
Die Freude über das Ergebnis ist groß. Oft nicht nur beim Hauptdarsteller, sondern auch beim Betrachter. Ihren Applaus spendet die Internet-Gemeinde in Form von nach oben gestreckte Daumen, also Likes, in den Netzwerken. Doch Experten warnen vor einem übertriebenen Eifer bei der Aufnahme von Selbst-Porträts. Ein neues Wort wurde erfunden: „Selfinissmus“ heißt es. Es soll die Mischung aus Selfie und Narzissmus bezeichnen.
Was früher der Dia-Abend war, ist heute die Präsentation über soziale Medien
„Psychologisch haben wir uns nicht verändert“, sagt Medienpsychologin Astrid Carolus. „Früher hat man nach dem Urlaub einen Dia-Abend gemacht, heute gibt es die Live-Präsentation über soziale Medien.“ Damals habe man sich also durchaus auch inszeniert. Heute sei das nur unmittelbarer geworden.
„Allerdings setzen sich manche Jugendliche im Wettbewerb um das schönste Selfie, die größere Aufmerksamkeit und die meisten Likes gegenseitig unter Druck“, sagt Mediencoach Kristin Langer von der Initiative „Schau hin! Was dein Kind mit Medien macht“. Von einem „übertriebenen Körperkult“ ist die Rede. Weil Bilder perfekter Model-Körper oder sexy Selfies von Stars die Runde machen. Von diesem „übertriebenen Körperkult in den Medien“ solle man sich auf keinen Fall anstecken lassen, warnt die Initiative. So etwas könne mitunter gefährlich für die Gesundheit werden. An eines solle man denken: Die Inszenierungen der Profis seien oft überzogen und Bilder retuschiert.
Den jungen Frauen geht es um glatt gebügelt erscheinende Gesichter und aufgespritzte Lippen
Darauf weist auch Dr. Klaus Hoffmann hin. Der Leiter der Ästhetisch-Operativen und Kosmetischen Dermatologie an der Uni-Hautklinik im Bochumer St. Josef-Hospital sagt: „Eigentlich wissen wir alle, dass auch Models wie Claudia Schiffer oder Sylvie Meis ungeschminkt ganz normal aussehen. Trotzdem gibt es junge Frauen, die diesem Idealbild nacheifern wollen.“
Es komme vor, dass junge Frauen ein Foto mit in die Praxis brächten, das in einem perfekt schmeichelnden Licht aufgenommen worden sei. „Sie möchten immer so aussehen wie auf diesem einen Bild“, sagt Hoffmann. Meist ginge es um unterspritzte Jochbeine oder Lippen, um Gesichter, die wie glatt gebügelt erscheinen, und um eine Haut ohne Pigmentschäden. „Früher hat man kleine Makel eher hingenommen als heute“, sagt der Schönheitsspezialist.
Vorbilder sind Instagram-Größen wie Kylie Jenner oder Bella Hadid
Hoffmann betont, dass eine professionelle Beratung in solchen Fällen extrem wichtig sei. „Von überzogenen Erwartungen müssen die Patientinnen abgebracht werden. Was auf einem Foto gut aussehen kann, kann im Alltag völlig übertrieben wirken. Beispielsweise wenn es um aufgespritzte Lippen geht.“
Bis zu einem Schönheitschirurgen führt der Weg bei der Vorbereitung auf das perfekte Selfie natürlich nur in wenigen Fällen. Doch er wird gegangen. Der Düsseldorfer Spezialist für Plastische und Ästhetische Chirurgie Dr. Murat Dagdelen spricht von einem „unheilvollen Optimierungswahn“. Hier und da verschiebe sich die Auffassung von hübschem Aussehen hin zu einer abstrusen Vorstellung. Dagdelen führt den „gefährlichen neuen Beauty-Trend“ auf das Verhalten von Instagram-Stars wie Kylie Jenneroder Bella Hadid zurück, die von Vertretern der jüngeren Generation als Vorbild gesehen würden.
„Als beunruhigend empfinden es viele Chirurgen, dass das Alter der Frauen, die sich durch den Vergleich mit ihren Idolen unwohl in ihrer Haut fühlen, stetig sinkt“, sagt der Düsseldorfer – und gibt zu, auch an seine Grenzen zu stoßen. Um diesen Patientinnen zu helfen, sei ein Psychologe zuständig, und kein Chirurg.