Essen-Huttrop. . Straßenbahnfan und Fahrgast ist Marvin Sefczik längst. Der geistig behinderte Jugendliche würde gern einmal in die Fahrerkabine steigen.

Wenn es beim Abendbrot „Straßenbahn aus Steele“ durch den Raum hallt, dann ist das mit Sicherheit Marvin Sefczik. Der 15-Jährige lebt in einer Wohngruppe des Franz-Sales-Hauses an der Steeler Straße. Dort treffen zwei Dinge aufeinander: Die Gleise vor dem Haus und die Leidenschaft des geistig behinderten Jugendlichen für die gelben Gefährte. Diese weckten vor rund drei Jahren sein Interesse, seitdem lautet sein größter Wunsch: einmal Straßenbahnfahrer zu sein.

Vor rund sieben Monaten zog Marvin nach Huttrop in die Wohngruppe Martin, teilt sich dort sein Zimmer mit einem Mitbewohner. Der 15-Jährige besucht die Franz-Sales-Förderschule, spielt in seiner Freizeit gern Keyboard oder trommelt und trällert mitunter in Endlosschleife Schlager. Besonders gern Lieder von Tom Schilling („Völlig losgelöst“) oder Helene Fischer („Atemlos“), verrät Marvin und zeigt auf das Plakat der Sängerin in seinem Zimmer. Auf Platz eins seiner Lieblingsmelodien steht aber unangefochten das Geräusch der nahenden Straßenbahn.

Zufrieden, lebensfroh und hilfsbereit

In seinem Zimmer am Keyboard: Marvin macht gern Musik und singt Lieder von Helene Fischer.
In seinem Zimmer am Keyboard: Marvin macht gern Musik und singt Lieder von Helene Fischer. © Socrates Tassos

„Er sagt uns sogar, aus welcher Richtung die Bahn kommt, da haben wir noch gar nichts gehört“, staunt nicht nur Alina Karg, die die Jugendlichen als pädagogische Mitarbeiterin betreut. Als die 27-Jährige von Marvins Wunsch erfuhr, hat sie das sehr berührt. Nicht weil dieser so ungewöhnlich sei, sondern weil der 15-Jährige erstmals überhaupt etwas erwähnt habe, über das er sich freuen würde.

„Selbst zum Geburtstag war es schwierig, ihm Wünsche zu entlocken“, erzählt Alina Karg. Denn Marvin sei ein stets zufriedener Mensch, so lebensfroh wie hilfsbereit. Er schiebt seine Mitbewohner im Rollstuhl, wenn diese nach draußen möchten, geht mit Hilfe von Zetteln und Taschenrechner einkaufen. In der Wohngruppe zählen für die Jugendlichen Müll wegbringen oder Fegen zu den Aufgaben. Für Marvin alles kein Problem, er höre aufmerksam zu und könne sich gut an Regeln halten. „Im Haus leben auch geistig und körperlich mehrfach behinderte Jugendliche“, sagt Alina Karg. Marvin sei fit, brauche etwas Unterstützung.

Super orientiert und absolut verkehrssicher

Keinerlei Hilfe benötigt der 15-Jährige, wenn er eine Straßenbahn besteigt. „Wir haben das ein oder zwei Mal geübt und festgestellt, dass Marvin sich super orientiert und absolut verkehrssicher ist“, beschreibt Alina Karg. Seitdem fährt Marvin am liebsten mit der Linie 109. „Bis zur Endhaltestelle nach Frohnhausen“, sagt er begeistert und hat sämtliche Fahrpläne im Kopf. Auch die in Richtung Bochum, wo er regelmäßig seine Oma besucht. „Verfahren habe ich mich noch nie“, sagt Marvin, der dem Fahrer gern über die Schulter blickt und ganz fasziniert ist von den vielen Knöpfen. Genau dort würde er so gern sitzen.

„Wir probieren das“, sagte Alina Karg schließlich, nachdem Marvin im

Heilerziehungspflegerin Alina Karg (27) unterstützt Marvin auch bei seinem Wunsch, einmal Straßenbahnfahrer zu sein.
Heilerziehungspflegerin Alina Karg (27) unterstützt Marvin auch bei seinem Wunsch, einmal Straßenbahnfahrer zu sein. © Socrates Tassos

Internet eine Wünsche-Seite entdeckt hatte. Da sich dort aber nur Kinder bis 13 melden konnten, veröffentlichten sie seinen Wunsch auf Facebook („Wünsche werden wahr“) und schrieben Straßenbahnunternehmen an. „Im Internet wurde das ein regelrechter Selbstläufer“, sagt die 27-Jährige. Es gab zahlreiche Reaktionen – ein Ergebnis bislang nicht. Marvin aber, sagt sie, sei seitdem ganz aufgeregt und hoffe weiter.

Der Berufswunsch steht längst fest

Sollte sich Marvins Wunsch erfüllen, wäre es das Größte für den 15-Jährigen. Sein Berufswunsch aber steht ohnehin schon fest: „Straßenbahnfahrer“, ruft Marvin und hat sofort eine Alternative parat: „Kontrolleur wäre auch ok.“

>>WOHNGRUPPEN IM FRANZ-SALES-HAUS

  • Im Franz-Sales-Haus an der Steeler Straße leben rund 60 Kinder und Jugendliche in Wohngruppen. Sie sind zwischen sechs und 22 Jahre alt. Sie besuchen die Schule, lernen nach ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten. Nach diesen richtet sich dann auch der weitere Weg in einer beruflichen Ausbildung.
  • Einige der Jugendlichen könnten mitunter in Außenwohngruppen beispielsweise in WG-Form ziehen, erklärt Alina Karg. Das Ziel sei stets, dass die Kinder und Jugendlichen so selbstständig sein könnten wie es jedem einzelnen möglich sei.