Essen. . Beim Stadtteil-Check bescheinigen die Teilnehmer Byfang das beste Gemeinschaftsgefühl. Stimmt das? Und wenn ja: Was hält die Byfänger zusammen?
Der einzige Bus fährt nur jede halbe Stunde, ein Geschäft sucht man vergebens und die letzte Gastwirtschaft hat vor zwei Jahren dicht gemacht. Und doch belegt Byfang beim Essener Stadtteil-Check in der Gesamt-Bewertung durch die Teilnehmer einen beachtlichen dritten Platz. In einer Kategorie, die wir abgefragt haben, liegt Byfang sogar unangefochten an der Spitze: Das Gemeinschaftsgefühl erhielt von den Teilnehmern die Note 1,59 (siehe Grafik unten). Demnach ist der Zusammenhalt unter den etwa 2000 Byfängern besonders groß.
Byfang hat wenige Einwohner und viele Vereine
Willi Stötzel kann sich einen Reim darauf machen. Oder ein Lied davon singen. Der 93-Jährige ist ein Byfänger Urgestein. Vor zwei Jahren stand Stötzel noch gemeinsam mit Sohn, Enkel und Urenkel in der Bütt beim Dilettantenverein Byfang. Vier Generationen auf einer Bühne. Das bot wohl nicht einmal das berühmte Millowitsch-Theater in Köln.
Wohltun, der Theater- und Karnevalsverein, gegründet 1905, ist eine Institution in Byfang und nur einer von zahlreichen Vereinen im Stadtteil. Auch in der laufenden Session werden die Karten für die närrischen Sitzungen im Nu vergriffen sein. Dann rücken sie wieder zusammen im Pfarrheim, wo selten ein Platz frei und stets kein Auge trocken bleibt.
Grundstücke und Häuser in Byfang sind teils seit Generationen in Familienbesitz
„Der Zusammenhalt ist sehr groß in Byfang“, berichtet Willi Stötzel. Das hat seine Gründe. Byfang war in frühen Jahren eine Ansammlung von Kotten und Bauernhöfen. Diesen dörflichen Charakter hat sich der Stadtteil im Essener Südosten erhalten. Häuser und Grundstücke sind teils seit Generationen in Familienbesitz. Ja, die Byfänger kleben an ihrer Scholle. Neue Baugrundstücke dagegen sind rar, auch weil die Stadt Essen weite Teile Byfangs schon vor Jahrzehnten zu Landschaftsschutzgebieten erklärte.
Geistiger Mittelpunkt Byfangs ist unübersehbar die Kirche St. Barbara, 1929 von der katholischen Kirchengemeinde erbaut, mit mächtigen Bruchsteinen aus dem nahen Deilbachtal. Der Kappellenbauverein hatte das nötige Geld gesammelt. „Der Kirchbau war eine riesige Gemeinschaftsleistung“, weiß Elisabeth Wieschermann, auch sie Spross einer alteingesessenen Byfänger Familie und in der katholischen Frauengemeinschaft aktiv.
Diese Gemeinschaftsleistung sollte sich Jahrzehnte später wiederholen mit dem Bau des Pfarrheims Ende der 1970er Jahre. Auch den nahm die Gemeinde selbst in die Hand, nachdem das Bistum einen „allgemeinen Baustopp“ erklärt hatte. Geld gab es nur für einen Holzbau. Den Erweiterungsbau Mitte der 1990er Jahre zahlte die Gemeinde dank Spenden größtenteils aus eigener Tasche. Alfred Rex, Byfänger und Elektro-Ingenieur von Beruf, führte fort, was Gemeindepfarrer Klaus Kohl angestoßen hatte. „Wir mussten alle in die Hände spucken“, erinnert sich Rex.
Heute, da es keine Gaststätte im Stadtteil mehr gibt, seit mit Schnitzlers die letzte geschlossen hat, ist das Pfarrheim unverzichtbar für das gesellschaftliche Leben in Byfang. Neben Bürgern, die Dinge anstoßen, braucht es einen gemeinsamen Ort.
Pfarrer Klaus Kohl motivierte die Byfänger, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen
Dr. Dr. Klaus Kohl – an diesem Namen kommt niemand vorbei, der sich näher mit der jüngeren Geschichte Byfangs befasst. Gemeindemitglieder beschreiben ihren langjährigen Pfarrer als Menschenfischer im positiven Sinne. Kohl, Doktor der Philosophie und der katholischen Religionswissenschaften, hat Spuren hinterlassen. „Pfarrer Kohl hat uns alle bereichert“, sagt Andreas Rothvoß, Löschgruppenführer der freiwilligen Feuerwehr und in jungen Jahren wie so viele in der katholischen Jugendgemeinschaft aktiv. Der Herr Pfarrer habe den Gemeinsinn gefördert und die Byfänger motiviert, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, sich nicht auf „die da oben“ zu verlassen. Das ist wohl sein größtes Verdienst.
Als Kohl vom Bistum aus Byfang abberufen und nach Frohnhausen versetzt wurde, flossen Tränen. Mehr als 20 Jahre ist das her. Kohls Saat trägt bis heute Früchte. Nicht nur in der katholischen Kirchengemeinde, die Byfang so sehr geprägt hat und noch immer prägt.
Wer als Byfänger evangelisch war, hatte es hingegen in früheren Jahren nicht leicht. Dirk Kalweit, Kupferdreher CDU-Ratsherr für Byfang, Kupferdreh und Dilldorf, und aktiv in der Evangelischen Kirche, erinnert sich noch gut daran, wie er 2004 erstmals für den Stadtrat kandidierte und sich den Byfängern per Hausbesuch vorstellte. Eine ältere Dame öffnete ihm die Tür, bat ihn freundlich herein und hörte ihm bei einer Tasse Kaffee aufmerksam zu. Beim Abschied blickte sie auf den Kandidaten-Steckbrief, den Kalweit ihr in die Hand gedrückt hatte: Ob er denn wirklich glaube, dass er als Protestant in Byfang eine Chance habe? Den Wahlkreis gewann Kalweit übrigens trotzdem.
Dilettantenverein, Rassegeflügelzüchter, Reiterverein
Mittlerweile hat sich das Verhältnis zwischen Katholiken und Protestanten entspannt. Auch Zugezogene seien willkommen. Das Vereinsleben ist bunt und lebendig. „Viele in Byfang sind gleich Mitglied in mehreren Vereinen“, berichtet Rolf Brochhagen-Hecke, lange Jahre Chef der freiwilligen Feuerwehr.
Diese persönlichen Querverbindungen bringen es mit sich, dass man als Vereinsmitglied im Zweifel jemanden kennt, der einen kennt, der einem hilft. Jeder sei eingeladen mitzumachen, sei es im Dilettantenverein, bei den Rassegeflügelzüchtern, im Reiterverein oder bei der freiwilligen Feuerwehr, wo sie übrigens auch Frauen aufnehmen würden.
Und wer in Byfang lebt und lieber für sich bleiben will? Auch gut.