Essen. . Die Schule im Bergmannsfeld ist die einzige Schule in Essen, die offiziell „kooperativen Religionsunterricht“ anbietet. Yvonne Gebauer kam.
„Kokoru“ hört sich an wie der Ruf eines exotischen Vogels, hat aber ganz viel mit uns Menschen zu tun: Die Abkürzung steht für „Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht“. Das Land erlaubt mit dem offiziellen Segen der Kirchen seit Beginn dieses Schuljahres, dass katholische und evangelische Kinder gemeinsamen Religionsunterricht erhalten.
Ministerin vermeidet das Wort „Brennpunkt“
Viele Schulen praktizieren das angesichts kleiner werdenden Zahlen von Christen schon lange, waren rein rechtlich aber in einer Grauzone. „Wir haben das legalisiert, weil wir ein gutes Konzept hatten“, sagt Barbara Sockoll, die Leiterin der Grundschule im Bergmannsfeld. Ihre Schule ist bislang die einzige im gesamten Stadtgebiet, die offiziell den „Kokoru“ erteilt – und deshalb am Donnerstag Besuch erhielt von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Ihre schwarze Limousine mit Kölner Kennzeichen rollte am Vormittag in der Freisenbrucher Hochhaussiedlung an, das Bergmannsfeld gilt als sozialer Brennpunkt, doch die Ministerin betont: „Ich vermeide es, von Brennpunkten zu sprechen, das stigmatisiert vor allem die Kinder, die hier leben. Es sind Stadtteile mit besonderen sozialen Herausforderungen.“
Nicht mal ein Viertel der Kinder ist getauft
Egal, wie man’s nennt, die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Zur Schule im Bergmannsfeld gehen rund 270 Kinder aus 31 Nationen. Von ihnen sind noch nicht mal ein Viertel getauft. 17 Kinder sind evangelisch, 41 katholisch. 124 gehören dem Islam an, viele sind Jesiden, ein gehöriger Anteil ist ganz ohne Religion. „Wir sind Kinder aus der ganzen Welt“, singt die Klasse 3c zur Begrüßung, „hier bei uns im Bergmannsfeld!“
Luther für alle Kinder in Klasse vier
Es folgt ein ausgiebiger Erfahrungsaustausch im Lehrerzimmer, der Generalvikar des Bistums, Klaus Pfeffer, ist da, auch die Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises in Essen, Marion Greve. Haben die Konfessionen eigentlich Angst, dass man ihnen was wegnimmt, wenn der Religionsunterricht gleichzeitig katholisch und evangelisch ist? „Im Gegenteil“, sagt Marion Greve, „die Kooperation ist eine Bestandsgarantie dafür, dass es weiterhin qualifizierten Religionsunterricht gibt.“
„Christliches Bewusstsein wird gestärkt“
Weitere Essener Schulen wollen mitmachen
Seit Beginn dieses Schuljahres können Schulen einen gemeinsamen Religionsunterricht für beide christlichen Konfessionen anbieten. In Essen macht bislang nur die Schule im Bergmannsfeld mit, weitere Schulen haben den Unterricht aber fürs nächste Jahr beantragt.
Landesweit sind 184 Schulen ins Projekt „Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht“ eingestiegen; zahlenmäßig bilden dabei die Grundschulen (99) und die Gesamtschulen (46) den Schwerpunkt. Das Land geht davon aus, dass vor allem immer mehr Gymnasien teilnehmen werden, weil vielerorts erst jetzt feststeht, welche Gymnasien im nächsten Schuljahr zurück zu „G 9“ gehen und welche nicht.
Auch abseits des Projekts praktizieren viele Schulen in einer rechtlichen Grauzone den gemeinsamen Religionsunterricht für christliche Kinder verschiedener Konfessionen. „Anders“, heißt es seitens der Praktiker, „lässt sich der Alltag gar nicht mehr organisieren.“
Die Pädagogen an der Grundschule im Bergmannsfeld und anderswo wünschen sich derzeit, dass vor allem die Islamkunde ausgeweitet wird: Es fehlen überall Lehrer. Islamkunde, heißt es, würde die Kinder oft später vor Radikalisierungstendenzen schützen.
Und so erzählt Melanie Turnwald, Lehrerin für evangelische Religion am Bergmannsfeld, dass die Schule vor dem „Kokoru“ die Kinder einer Konfession aus verschiedenen Jahrgängen zusammen unterrichten musste, „was didaktisch für einige Schwierigkeiten gesorgt hat.“ Im Frühjahr machte sie mit dem Kollegen für katholische Religion, Matthias Kannapinn, eine Fortbildung in Sachen „Kokoru“, und so sieht der Religionsunterricht am Bergmannsfeld jetzt aus: „Wir wechseln uns mit dem Unterricht jedes Jahr ab.“ Wichtig sei, dass die dritten Klassen katholischen Unterricht erhielten – wegen der Kommunion. „Dafür ist dann Luther in Klasse vier altersangemessen“. Ein Vorteil des gemeinsamen Unterrichts: „Das christliche Bewusstsein wird gestärkt“, haben Turnwald und Kannapinn festgestellt. Ein Nachteil: „Der vorgeschriebene Lehrer-Wechsel pro Jahr macht unmöglich, dass man ein Thema mal ins nächste Jahr verlegt, es gibt weniger Freiheiten bei den Lehrplänen.“
Kooperation ist eine „Notwendigkeit“, sagt die Schulleiterin
Überhaupt ist klar, dass dort, wo Fusionen entstehen, auch Sachen wegfallen: „Von manchen Inhalten muss man sich verabschieden“, sagen die Religionslehrer.
Doch dass der Religionsunterricht in Vierteln wie dem Bergmannsfeld vor allem konfessionsübergreifend Sinn machen, stellt niemand mehr in Frage: „Die Kooperation“, sagt Schulleiterin Barbara Sockoll nüchtern, „war eine schlichte Notwendigkeit.“