Essen. Eine Nacht zwischen Clan- und Kleinkriminalität: Mit Großaufgebot demonstrieren Polizei, Ordnungsamt und Zoll in Essener Etablissements Stärke.
Gegen halb zwei an diesem Sonntagmorgen hat es sich im „Essence“ erst einmal ausgetanzt. Die Musik erstirbt, und während an der Stirnseite des Nachtclubs im alten Europa-Kino behelmte Polizisten Aufstellung nehmen, geht ein streng dreinschauender Herbert Reul in Hemd und Pullunder, Schal und Mantel vorbei an leicht bekleideten Gästen über die Tanzfläche, stoppt, gibt vom Stimmengewirr unbeeindruckt ein paar kurze Kamera-Interviews und verlässt die verdutzte Menge wieder. Ein junger Mann mit arabischem Akzent versucht den Auftritt einzuordnen: „Bester Präsident ist das, ne?“
Na ja, fast.
Reul ist NRW-Innenminister und an diesem Abend im ganzen Ruhrgebiet unterwegs, um sich einen Eindruck davon zu verschaffen, welchen Eindruck wiederum die größte Razzia des Landes auf jene macht, die man treffen will: die kriminellen Clans im Revier.
„Wir geben keinen Zentimeter Boden preis“
Essen fällt dabei besonders unangenehm auf, aber damit soll Schluss sein, „Wir geben keinen Zentimeter Boden preis“, formuliert es Polizei-Sprecher Ulrich Faßbender martialisch. Und wie das aussehen kann, lässt sich am frühen Razzia-Abend etwa im „Bizim Café“ an der Mülheimer Straße in Frohnhausen besichtigen. Junge Männer, „Schwarzköpfe“ wie einer in Anspielung auf seine Herkunft sagt, spielen hier Karten oder das Rommé-ähnliche Steinchen-Legespiel Okey, man raucht Shisha, trinkt Mineralwasser nascht Chips und Kinder-Pingui aus dem gut gefüllten Kühlschrank.
„Ist doch besser, als in Casinos rumzuhängen“, sagt einer, und die
Kollegen nicken: ein Bänker, ein Awo-Mitarbeiter, junge Leute, die sich ausdrücken können und informiert sind: Clans, ja, klar, „da gibt es doch jetzt Extra-Staatsanwälte für“. Die Kontrolle nehmen sie hin, ein bisschen genervt, ein bisschen verständig, misstrauisch und mit einer satten Portion Spott. Cool bleiben ist Pflicht. Als einer, den sie Memmo nennen, nach draußen geführt wird, ruft ein anderer „Free Memmo“ hinterher. Und lacht.
Herkunft mehrerer EC-Karten ungewiss
Ein anderer wird festgenommen, er trägt mehrere tausend Euro Bargeld und einige EC-Karten bei sich und muss erst einmal die rechtmäßige Herkunft nachweisen. „Kriminelle gibt’s überall“, sagt sein Kumpel, Hooligans zum Beispiel, „find ich auch nicht gut“. Er will, dass der Kameramann sein Gesicht „zensiert“, damit er nicht zu erkennen ist, und kommt zu der Erkenntnis: „Die Polizei ist doch nur hier, um Kraft zu zeigen.“
Das formuliert der NRW-Innenminister so ähnlich, vielleicht auch, weil die Clan-Kriminalität sich bei dieser Großrazzia eher in Klein-Kriminalität erschöpft. Oder gar nur aus Ordnungswidrigkeiten, denen man in einer zweiten Welle auch in der Cocktailbar „Glow“ bei der Uni auf der Spur ist. Als die Polizei hier gegen 23 Uhr wie andernorts auch mit Zoll, Ordnungs- und Finanzbehörde den Laden inspiziert, liegen die Shisha-Schwaden über den Tischen wie zäher Winternebel im Tal. Doch der Kohlenmonoxid-Warner des Ordnungsamtes zeigt nur 37 Millionstel an, erst bei 80 wird zwangsgelüftet, bei 180 die Bude dicht gemacht.
Wer Tabak raucht, bekommt Bußgeld von 35 Euro
So bleibt ein Blick auf Lizenzen und Steuerbanderolen und den Tabakkopf der Shishas: Wer Tabak raucht, bekommt ein Bußgeld von 35 Euro verpasst, der Wirt noch eines oben drauf.
Klingt eher kleinlich als kriminell, aber Essens Ordnungsdezernent Christian Kromberg, der die Razzia begleitet, setzt auf das, was er einen „Trichter“-Effekt nennt: Nur durch immer neue Kontrollen trenne sich im Laufe der Zeit die Spreu vom Weizen, „wir wollen ja denen, die sich an Recht und Gesetz halten, nicht die wirtschaftliche Grundlage entziehen“. Und schließlich: Derlei Razzien seien ja nur eine von mehreren Maßnahmen gegen kriminelle Clans, „wir zeigen damit, dass der Staat sich andauernde Gesetzesverstöße nicht gefallen lässt“.
Eine Art psychologische Kriegsführung
Man kann das auch eine Art psychologische Kriegsführung nennen – und nur ahnen, was die furchteinflößenden Türsteher des „Essence“-Clubs denken, als sie zu noch späterer Stunde Polizisten, den Minister und einen Tross Journalisten passieren lassen müssen.
Die Gäste drinnen sind eher perplex als erbost, die Aktion wird dutzendfach per Handy gefilmt, böse Worte fallen nicht. Nicht wenige haben von der Razzia bereits gehört: Clan-Kriminalität? „Klar muss man dagegen vorgehen“, sagt einer, „aber man sollte es nicht übertreiben“. Ob er seinen Namen sagen mag?
„Nee, lieber nicht.“
>>DREI FESTNAHMEN UND MEHR - DIE RAZZIA-BILANZ
An der groß angelegten Razzia gegen Clan-Kriminalität nahmen allein in Essen und Mülheim mehrere hundert Polizisten sowie Mitarbeiter von Zoll, Stadtverwaltung und Finanzämtern teil.
Kontrolliert wurden insgesamt 29 Objekte: Shisha-Bars, Imbiss-Stuben, Spielhallen, Wettbüros und eine Diskothek. Zwölf Straftaten wegen Widerstands, Beleidigung, Steuerhinterziehung und Verstoßes gegen das Waffengesetz wurden registriert, 251 Personen kontrolliert, 142 Ordnungswidrigkeiten-Anzeigen geschrieben. Drei Männer und eine Frau wurden vorläufig festgenommen. In einem Fall lag ein Haftbefehl vor.
Ein Pfefferspray, drei Hiebwaffen und 20 Kilo unversteuerter Wasserpfeifentabak wurden sichergestellt. Bei Verkehrskontrollen gab es 82 Verwarnungen und 11 Ordnungswidrigkeiten.