Essen. . Groß, eigenständig, nichts für Wohnungen: Die Vermittlung von fünf Kangals, türkischen Herdenschutzhunde, ist eine Herausforderung fürs Tierheim.

Toni (7) hat mehr als die Hälfte seines Lebens im Tierheim verbracht: Unüberlegte Anschaffung und die Anforderung, die seine Rasse mit sich bringt, sind zwei Gründe dafür. Als Kangal wurde der türkische Herdenschutzhund gezüchtet, um Tiere wie Schafe zu bewachen. Selbstständig zu arbeiten und zu entscheiden sind Eigenschaften, die ihm bei diesem Job helfen – dem Essener Tierheim aber bescheren sie viel Arbeit, Kosten und große Verantwortung bei der Vermittlung.

Fünf Kangals warten an der Grillostraße derzeit auf ein neues Zuhause. „Dabei gehören sie nicht in eine Großstadt“, sagt Tierpflegerin Anna Krücker mit Blick auf die Haltung. Wenn schon keine Schafherde zum Hüten da ist, so sollten die Hunde auf einem großen Grundstück oder sogar einem Hof gehalten werden. In Städten wie Essen schwer erfüllbare Voraussetzungen. Hinzu kommt, dass die Hunde dann mangels einer Herde, Alternativen wie das Fährten brauchen – und zwar täglich. Stattdessen würden sie leichtfertig aus dem Urlaub mitgebracht und in der 50-Quadratmeter-Wohnung gehalten, sagt die Tierpflegerin: „Aus dem kleinen Teddy entwickelt sich rasch ein stattlicher Rüde, über den keiner mehr Herr wird.“

Sind Halter überfordert, landet der Hund oft im Heim

Alltag im Tierheim: v.li. Morten Eichhorn mit Toni, Patrick Jacquel mit Selma und Dirk Fröhlich mit Bozo beim Training im Außengelände an der Grillostraße.
Alltag im Tierheim: v.li. Morten Eichhorn mit Toni, Patrick Jacquel mit Selma und Dirk Fröhlich mit Bozo beim Training im Außengelände an der Grillostraße. © Klaus Micke

Sind die Halter überfordert, landen die Hunde oftmals im Tierheim. Wie Toni, den die Polizei vor vier Jahren betäubt aus einer kleinen Wohnung an die Grillostraße brachte. Als der Rüde aus der Narkose erwachte, ließ er niemanden in seine Nähe – ganze vier Monate lang. „Ans Anfassen war nicht zu denken“, erinnert sich Tierpflegerin Djanah Mostowfi. Für sie und ihre Kollegen lautet die Herausforderung dann, mit den charakterstarken, bis zu 85 Zentimeter hohen und 50 bis 70 Kilogramm schweren Tieren zu arbeiten, um sie schließlich mit gutem Gefühl zu vermitteln. Unterstützung erhalten sie dabei von externen Trainern. Diese schulen die Mitarbeiter und ehrenamtlichen Gassigänger und üben mit schwierigen Hunden. „Dauerhaft werden wir uns das finanziell nicht leisten können“, sagt Tierheimleiterin Tilly Küsters. Aber derzeit sei es eine wichtige Unterstützung. Die Hauptaufgabe bestehe darin, die Hunde zu sozialisieren.

Den Hund nicht unterschätzen

Toni etwa reagiere skeptisch auf Fremde und sei nicht immer kooperativ. Nur langsam fasste der Rüde Vertrauen zu Menschen. „Es sind große Hunde, die schnell lernen, dass sie Erfolg haben, wenn sie nach vorn gehen“, erklärt Trainer Dirk Fröhlich von der Hundeschule „Hunde verstehen lernen“. Ein Kangal in falschen Händen könne durchaus gefährlich werden, sagte er. Den Hund zu unterschätzen, kann tragische Folgen haben wie ein tödlicher Angriff 2017 zeigte.

Daher wollen die Verantwortlichen über die Rasse aufklären. Maulkorbpflicht besteht beim Kangal nicht, beim Training im Tierheim bietet dieser aber einen zusätzlichen Schutz für Menschen und Artgenossen. Bozo (2) und Selma (1,5) haben bereits viel gelernt, könnten eventuell zu Familien mit Kindern vermittelt werden, sagt Djanah Mostowfi. Auch wenn Selma derzeit pubertiere und etwas eigensinnig sei. Beide Hunde wurden in Essen gefunden, vermisst hat sie niemand. So wie Aslan (2), der wie Kangal-Mix Pascha (5) auf eine artgerechtes Zuhause wartet. „Es sind intelligente, sehr wachsame Hunde“, sagt Anna Krücker. Autark zu agieren, liegt in ihren Genen. Ihrem Halter zu gefallen oder sich unterzuordnen, sei nicht ihr Ding. Große Schmuser werden sie auch nicht unbedingt.

Konsequenz und Beschäftigung

Ein Kangal akzeptiere aber seine Bezugsperson und einen engen Kreis Angehöriger. Konsequenz und Beschäftigung sind wichtige Voraussetzungen für die Vermittlung, ebenso mindestens ein Haus mit Garten. Daher stehen die Pfleger im Kontakt mit anderen Heimen und hoffen auf Interessenten aus ländlichen Regionen. Allerdings hegten diese Hoffnung beinahe alle Tierheime im Ruhrgebiet. Denn die Zahl der Herdenschutzhunde in Heimen nehme zu. „Es werden wohl noch mehr“, befürchten die Essener Tierpfleger und appellieren an Vernunft und Verantwortung der Halter – vor der Anschaffung.

Wie gefährlich ist der Kangal?

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    >> ÖFFNUNGSZEITEN UND KONTAKT ZUM TIERHEIM

    Das Tierheim an der Grillostraße 24 öffnet dienstags bis freitags in der Zeit von 13 bis 17 Uhr und samstags von 11 bis 14 Uhr. Mittwochs werden keine Hunde vermittelt.

  • Auf der Internetseite des Tierheimes werden die Tiere jeweils mit Bild und kurzem Text vorgestellt

  • Kontakt: 0201/83 72 350