Essen. . Axel Wiesener vom Arbeitskreis Essen 2030 provozierte beim Bürgerforum: Schrebergärten sollten für den Wohnungsbau nicht ausgespart werden.
Bei der Suche nach geeigneten Flächen für den Wohnungsbau tut sich die Stadt Essen schwer. So schwer, dass sie am Wochenende die Bürger fragte: „Wo wollen wir wohnen?“, hieß es beim Bürgerforum in der Messe Essen. Dabei wäre die Frage für Axel Wiesener leicht zu beantworten. Als Mitglied des Arbeitskreises Essen 2030, der sich mit Fragen der Stadtentwicklung beschäftigt, war Wiesener als Experte geladen und überraschte mit einem durchaus provokanten Vorschlag: Wenn es darum geht, neue Wohnungen zu bauen, sollten auch Kleingärten nicht ausgespart werden.
Für viele seien Kleingärten „heilige Kühe“. Nicht einmal in Gedankenspielen dürften sie angetastet werden, kritisierte Wiesener und trieb es weiter auf die Spitze: Kleingartenvereine und ihre politischen Interessensvertreter stellten Schrebergärten als den „ökologischen Himmel auf Erden“ dar. „Das indes sind Schrebergärten nicht.“
Manche Schrebergärten seien verzichtbar
Wiesener wies darauf hin, dass in Kleingärten 15 Prozent der Fläche sehr wohl versiegelt werden dürfen – mit „Häuschen, Hütten oder Buden“. Deren Dächer seien jedoch nicht selten mit Teerpappe bedeckt, mit Wellblech oder auch mit Eternit. Als „Beweis“ zeigte der Referent einige Fotos von wenig ansehnlichen Gartenlauben. Es gibt auch andere. Seine Botschaft: Solche Hütten sind verzichtbar.
9000 Mitglieder in 109 Vereinen
In Essen gibt es 109 Kleingartenvereine mit einer Gesamtfläche von etwa 300 Hektar. Die rund 9000 Mitglieder bewirtschaften etwa 8500 Parzellen. Die meisten Flächen befinden sich im Besitz der Stadt, der Stadtverband der Kleingartenvereine hat sie gepachtet. Etwa ein Drittel der Flächen ist im Besitz der Kleingartengrund- und Boden GmbH.
Beim Bürgerforum zum Thema Wohnungsbau diskutierten am Wochenende 570 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Bürger darüber, wo neue Wohnungen gebaut werden könnten.
„Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich schlage nicht vor, alle Schrebergärten in Bauland umzuwandeln“, betonte Wiesener und machte folgende Rechnung auf: In Summe nehmen die Kleingartenanlagen mit insgesamt 8500 Parzellen eine Fläche von 300 Hektar ein, davon sind 45 Hektar versiegelt. Sollte nur zehn Prozent der Schrebergartenflächen in Bauland umgewidmet werden, könnten 1350 Wohnungen entstehen – „zu Lasten von 850 Parzellen“.
„Wir reden hier nicht über Privilegierte“
In Frage kämen seiner Meinung nach in erster Linie Kleingärten an den Zuläufen zur Emscher. Gärten an der Berne, am Borbecker Mühlenbach und anderen Nebengewässern im Zuge des Emscherumbaus renaturiert werden. Es stelle sich die Frage, so Wiesener, ob diese Flächen nicht in öffentliche Parks umgestaltet werden sollten mit einer Randbebauung mit neuen Wohngebäuden auf bereits versiegelten Flächen.
Holger Lemke, Vorsitzender des Stadtverbandes der Kleingartenverbandes, kann solchen Gedankenspielen nichts abgewinnen. Lemke verweist auf die soziale Funktion der Kleingärten. Die Gärten würden in der Regel von Menschen genutzt, die in Geschosswohnungen leben und sich nie und nimmer ein Haus mit eigenem Garten leisten könnten. „Wir reden hier nicht über Privilegierte.“
Stadt zögerte bei Übernahme, aus Sorge der Boden könnte belastet sein
Lemke weist daraufhin, dass etwa ein Drittel der Kleingartenflächen gar nicht im Besitz der Stadt seien, sondern der Kleingartengrund- und Boden GmbH. Lemkes Vorgänger im Amt, der langjährige Stadtverbandsvorsitzende Heinz Schuster hatte die GmbH Anfang der 1990er gegründet, um die vormals von Industrie und Großunternehmen genutzte Flächen dem Kleingartenwesen zu sichern. „Eine weitsichtige Entscheidung“, sagt Holger Lemke. Seinerzeit zögerte die Stadt die Flächen zu übernehmen, aus Sorge der Boden könnte durch Schadstoffe belastet sein. Für eine Bebauung stünden die Gärten der Kleingartengrund- und Boden GmbH nicht zur Verfügung. Das würde ihrer Satzung widersprechen, wie Lemke betont.
Dass der Stadtverband nichtsdestotrotz einer städtebaulichen Entwicklung nicht im Wege stehe zeige das Beispiel Niederfeldsee in Altendorf. Damit die Stadt die künstliche Wasserfläche anlegen konnte, mussten 100 Parzellen weichen. Sollte die Stadt Kleingärten als Bauland ins Auge fassen, fordert der Chef des Stadtverbandes: „Dann gebt uns Ersatzflächen.“