Essen. Das Verwaltungsgericht droht Zehntausende Autobesitzer faktisch zu enteignen und Essen in ein Verkehrschaos zu stürzen. So geht es nicht.

Damit hatte keiner gerechnet: Das Urteil des Verwaltungsgerichts zur Luftbelastung in Essen ist ein absoluter Paukenschlag. Aus 18 dicht besiedelten Stadtteilen sollen ab Mitte 2019 Diesel-Autos bis zur Euro-5-Klasse und alte Benziner verbannt werden. Da die Verbotszone sehr zentral liegt und in sich geschlossen ist, wird unsere Stadt für diese Fahrzeuge unpassierbar. Allein in Essen fallen nach Angaben der Stadtverwaltung rund 80.000 Pkw und Lkw in diese Kategorie. Und viele der Halter leben oder arbeiten in der Verbotszone.

Zu Recht bemängelt der OB die massive Unverhältnismäßigkeit des Urteils

Zehntausende Bürger und Gewerbetreibende werden also faktisch enteignet. Sie kommen mit ihrem Wagen nicht mehr zur Arbeit, können Kunden nicht beliefern, ihre Kinder nicht zur Kita bringen. Ihr Leben wird mal eben auf den Kopf gestellt. Was sich das Gericht hier geleistet hat, ist an Unverhältnismäßigkeit kaum noch zu überbieten. Das hat auch Oberbürgermeister Thomas Kufen in dankenswerter Klarheit festgestellt.

Grenzwerte sind einzuhalten, selbstverständlich. Und die Betrügereien der Autoindustrie mit dem Ziel, diese Werte zu umgehen, sind kein Kavaliersdelikt. Trotzdem muss man doch bitte mal die Kirche im Dorf lassen. Der Grenzwert, der Grundlage des Urteils ist, markiert eine theoretisch berechnete Gesundheitsgefahr. Namhafte Lungenfachärzte halten die damit verbundene Sorge für vollkommen übertrieben.

Wer zuhause ein paar Kerzen anzündet, atmet weit mehr Stickoxide ein als an der Hauptstraße

Wer in seinem Wohnzimmer zum Abendessen ein paar Kerzen anzündet oder es sich am Holzkamin gemütlich macht, inhaliert unter Umständen das Mehrhundertfache dessen an Stickoxiden, was ihm zuvor auf der Hauptstraße begegnet ist. Auch am Arbeitsplatz, wo wir uns in der Regel acht Stunden aufhalten, gelten weit höhere Grenzwerte.

Selten stand also bei einer Gesetzgebung so unverhohlen das Feindbild Auto Pate. Dass der Grenzwert auf den Essener Straßen nur sehr geringfügig überschritten wird, sei nur am Rande erwähnt. Auch deshalb hätten mit Pragmatismus gesegnete Richter eine derartige juristische Keule unter der Robe gelassen. Gerichte dürfen nämlich durchaus gesunden Menschenverstand walten lassen.

Das Land muss nun Druck auf allen Ebenen machen und der Stadt Essen helfen

Essen muss nun irgendwie mit dieser Lage umgehen. Der OB hat die Marschroute benannt und nebenbei fast schon so etwas wie zivilen Ungehorsam angedeutet: Für aufwendige Kontrollen dieser vielen Fahrzeuge habe er ganz gewiss kein Personal. Abseits solcher Trotz-Reaktionen: Das Urteil muss und wird angefochten werden, das ist schon jetzt klar und wird vom Land NRW unterstützt.

Leider ist ein Erfolg in der nächsten Instanz alles andere als sicher. Deshalb muss die Landesregierung nun zwingend der Stadt Essen und der ebenfalls betroffenen Stadt Gelsenkirchen helfen und Druck auf allen Ebenen machen: juristisch, politisch und am besten auch bei der seriöseren wissenschaftlichen Bewertung der angeblichen Gesundheitsgefahren. Und wenn gar nichts hilft, müssen die betroffenen Bürger und Unternehmen eben entschädigt werden.

Auch die Autoindustrie muss in die Mithaftung genommen werden - ohne sie zu strangulieren

Denn nicht die Stadt hat das drohende Chaos zu verantworten, sondern ganz allein der Bund und das Land. Reichlich viele haben tief und fest geschlafen, als die absurden Grenzwerte europaweit durchgesetzt wurden. Mehr Druck spüren muss jetzt auch die Autoindustrie, ohne dass man diese nach wie vor immens wichtige deutsche Schüsselbranche strangulieren darf.

Essen jedenfalls muss jetzt kämpfen. Dieses Urteil kann in dieser Form auf gar keinen Fall das letzte Wort sein.