Essen. Essens Caritas-Direktor Hermans fordert von der Kirche mehr Radikalität und Empathie beim Aufarbeiten von Missständen wie dem Missbrauchsskandal.
Mit einem Beitrag im Netzwerk Facebook und der anschließenden Berichterstattung hat Björn Enno Hermans für einiges Aufsehen gesorgt: „Wenn die katholische Kirche eine Partei wäre, dann würde ich jetzt austreten“, ließ der Direktor der Essener Caritas verlauten, nannte als Gründe dafür unter anderem den Umgang der Kirche mit dem Skandalthema Kindesmissbrauchund das umstrittene Wort des Papstes, der Abtreibung mit Auftragsmord in Verbindung gebracht hatte. Selten sprechen Menschen, die leitende Funktion in einem kirchennahen Verband innehaben, so offen über Missstände, was erklärt, weshalb Hermans zahlreiche zustimmende und auch einige kritische Reaktionen erhielt. Und nein, austreten will und wird er nicht, wachrütteln allerdings auf jeden Fall.
Ihre Kritik an der katholischen Kirche klingt sehr harsch, Sie sprechen sogar davon, dass eine Revolution nötig sei. Ist die Kirche aus ihrer Sicht nicht zumindest auf dem richten Weg?
Björn Enno Hermans: Das ist sie sicher an vielen Stellen, gerade wenn ich unser Bistum Essen betrachte, das unter den 27 deutschen Diözesen mit progressiven Ideen auffällt. Aber gerade deshalb empfinde ich die Diskrepanz insgesamt als so groß. Es gibt Bistümer, die eben nicht eine weitergehende Öffnung ihrer Akten gestatten wollen, wenn es um das Thema Missbrauch geht. Das führt zu einem Störgefühl bei vielen Katholiken, die empört sind über diese Vorgänge.
„Dieser massive Vertrauensverlust ist die größte überhaupt vorstellbare Krise“
Was genau hat sie bewogen, sich so zu äußern?
Björn Enno Hermans: Ich war neulich bei der Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes, über den Missbrauchsskandal und andere aktuelle Themen wurde natürlich gesprochen, aber doch eher unter ferner liefen. Ein wirklicher Ruck, eine ehrliche, tiefe Erschütterung war für mich zwar seitens vieler Delegierter, in Gänze aber doch nicht ausreichend spürbar.
Können Sie das konkretisieren?
Björn Enno Hermans: Zum Beispiel wurde eine Messe zelebriert, vom Erzbischof Burger, der in der Deutschen Bischofskonferenz für die Caritas zuständig ist. Die Missbrauchsstudie spielte in der Predigt eine Rolle. „Wir befinden uns in einer Art Krise“, sagte der Erzbischof. Nein, wir sind nicht in einer „Art Krise“, dieser massive Vertrauensverlust ist die größte überhaupt vorstellbare Krise. Alles lief aber ab wie immer, volles Ornat, große Zeremonie.
Was wäre Ihnen lieber gewesen?
Björn Enno Hermans: Ich hätte mir gewünscht, dass wir die Sprach- und Hilflosigkeit angesichts der Vorkommnisse einfach einmal aushalten, und nicht zur Tagesordnung übergehen. Es wird oft gesagt, es sei schmerzlich, aber bei vielen wird das für mich nicht wirklich spürbar. Ich stehe zu dieser Institution Kirche, aber dann passieren solche Querschläge, und das irritiert mich dann schon sehr. So kam es jedenfalls zu diesem Post auf Facebook.
„In zwei Essener Gemeinden war der Bericht über meine Äußerungen Thema in der Sonntagspredigt“
Tatsächlich wollen Sie aber nicht austreten?
Björn Enno Hermans: Nein, das habe ich ja auch deutlich gemacht durch den Konjunktiv: Wenn die Kirche eine Parte wäre. Aber ich muss mich immer wieder neu sortieren und mich fragen, wie kann ich angesichts der vielen Irritationen loyal zu dieser Institution stehen. Und so geht es sehr vielen in meinem Umfeld.
Welche Reaktionen gab es?
Björn Enno Hermans: Ganz überwiegend positive. Ich habe über hundert einzelne Rückmeldungen erhalten, von pensionierten und aktiven Priestern, von normalen Bürgern und Zeitungslesern, von Gemeindemitgliedern. In zwei Essener Gemeinden war der Zeitungsbericht über meine Äußerungen Thema in der Sonntagspredigt, anschließend wurde vor der Kirche darüber diskutiert. Diese Empörung und Zerrissenheit ist also da. Viele fragen sich, wie kann ich mithelfen, meine Kirche zu verändern, sodass ich mit einem besseren Gefühl dabei bleibe.
Viele rühmen ihren Mut.
Björn Enno Hermans: Ja, das hat mich gefreut, aber auch irritiert. Nicht wenige glauben, dass mir jetzt arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen. Nein, das ist nicht so. In diesem Bistum Essen kann man sowas sagen, ohne dass derartiges passiert. Aber dass ich als mutig gelte, ist ja andererseits sehr bezeichnend. Die katholische Kirche ist hierarchisch strukturiert, die Dynamik aus Angst und Macht ist quasi in ihrer DNA angelegt: Was darf ich sagen, was nicht – da sind viele sehr unsicher und haben deshalb die Neigung, lieber abzuwarten.
Es gab aber auch Kritik: Hängenbleiben werde Ihre wenn auch im Konjunktiv ausgesprochene Austrittsdrohung, hieß es.
Björn Enno Hermans: Einige fühlten sich auf den Schlips getreten: „Wir machen so viel gute Arbeit, Wir tun so viel, um Kirche im Kleinen erlebbar zu machen. Entwerte nicht unsere gute Arbeit vor Ort!“ Das liegt mir wirklich fern. Anerkennung und Wertschätzung für die guten Entwicklungen gerade im Bistum Essen sind wichtig, keine Frage. Ich glaube aber nicht, dass mein Beitrag in diesem Zusammenhang einen negativen Effekt hatte.
Was ist aus Ihrer Sicht zu tun? Lässt sich eine Weltkirche überhaupt im lokalen Rahmen verändern?
Björn Enno Hermans: Das glaube ich schon. Wir brauchen noch mal ein anderes Maß an öffentlicher Empörung, und das nicht nur von außen, sondern gerade von innen, von denen, die Mitglied der Kirche geblieben sind. Empörung und Zerrissenheit, die ja da sind, müssen noch viel stärker wahrnehmbar werden. Dazu muss man sie äußern. Es genügt nicht, mir oder anderen eine Email zu schreiben. Veränderung kommt nicht von oben. Der Veränderungsimpuls muss von vor Ort kommen.
Gab es Reaktionen aus den oberen Etagen des Bistums?
Björn Enno Hermans: Der Generalvikar hat deutlich gemacht, dass er meine Aussagen grundsätzlich unterstützt.