Essen. . Das bundesweit bedeutende Wirtschaftsforschungsinstitut feiert in diesem Jahr 75-jähriges Bestehen. Ein Buch beleuchtet seine Geschichte.

Zweimal pro Jahr steht das in Essen beheimatete RWI-Institut für Wirtschaftsforschung im Rampenlicht, wenn die sechs führenden deutschen Institute der Bundesregierung ihre Frühjahrs- und Herbstgutachten vorlegen. Das Essener Haus nimmt hier derzeit eine Sonderstellung ein. Denn Christoph M. Schmitt ist nicht nur Präsident des RWI, sondern seit 2013 auch Vorsitzender des Sachverständigenrates, der der Bundeskanzlerin das jeweilige Schriftstück in die Hand drücken darf.

Das noch heute bestehende Nachkriegsgebäude des RWI im Bau: An der Hohenzollernstraße wie auch an anderen Straßen rund um den Stadtgarten entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg.
Das noch heute bestehende Nachkriegsgebäude des RWI im Bau: An der Hohenzollernstraße wie auch an anderen Straßen rund um den Stadtgarten entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg. © RWI

Was die Politik daraus macht, ist allerdings wieder eine andere Frage. In diesen Tagen feiert das RWI die 75. Wiederkehr der Selbstständigkeit – Anlass für ein umfängliches Buch zur eigenen Geschichte.

RWI war Vorreiter empirischer Wirtschaftsforschung

Schon 1926 wurde das RWI gegründet, jedoch zunächst als „Abteilung Westen“ des Instituts für Konjunkturforschung, dem heutigen Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Im Westen schlug das industrielle Herz Deutschlands, und Essen als inoffizielle Hauptstadt des Ruhrgebiets bot sich als Standort an. 1943, also mitten im Zweiten Weltkrieg, erlangte das RWI – Kurzform für Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung – dann die rechtliche Selbstständigkeit. Der Grund klingt wenig schmeichelhaft: Entscheidend war dabei die NS-Großraumideologie: „Durch den deutschen Angriffskrieg erhielt die Abteilung Westen einen potenziell größeren Zuständigkeitsbereich.“

Über die Rolle des RWI und des DIW im Dritten Reich konstatiert der Wirtschaftshistoriker Rainer Fremdling: „Die empirische Wirtschaftsforschung beider Institute trug zum Funktionieren des nationalsozialistischen Herrschaftssystems bei und war dessen integraler Bestandteil.“ Die empirische Wirtschaftsforschung galt dabei als moderne Weiterentwicklung älterer Verfahren, das RWI war dabei Vorreiter gewesen.

Politikberatung auf Grundlage von Datenanalyse

 
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In den 1920er-Jahren „war die Analyse konjunktureller Phänomene noch stark durch die Suche nach grundlegenden theoretischen Gesetzmäßigkeiten geprägt“, schreiben die Autoren. Die „Abteilung Westen“ hingegen habe von Anfang versucht, durch statistische Analysen in den Daten wissenschaftlich nachweisbare Muster zu ermitteln und für eine Konjunkturprognose zu nutzen. Weil ihre Prognosen oft zutrafen, hätten sich die RWI-Konjunkturforscher einen sehr guten Ruf erarbeitet, der auch die „Stunde Null“ überlebte. Nach Gründung der Bundesrepublik war das RWI sofort bei jenen Instituten, die ab 1950 ohne Unterbrechung jedes Jahr den Auftrag von der Bundesregierung zur Abgabe eines Gutachtens erhielten.

Auch später stieß das RWI Änderung mit an: Anfang der 2000er Jahre begannen mehr und mehr Ökonomen, auf Grundlage erhobener Daten politische Reformen zu fordern. „Seit seinem umfassenden organisatorischen und inhaltlichen Neuaufbruch im Jahr 2003 war das RWI hierzulande einer der wichtigsten Wegbereiter dieser so genannten Evidenzrevolution, indem es für die Politikberatung ausdrücklich datengetriebene Ansätze verfolgt“, so die Studie.

RWI als Kritiker der Steinkohle-Subventionierung

Inhaltlich hat das Institut mit Sitz an der Hohenzollernstraße am Stadtgarten heute vier große Schwerpunkte mit zahlreichen Verästelungen: Neben der klassischen Konjunkturforschung sind das die Bereiche Gesundheit und Krankenhauswesen, Energie und Umwelt sowie Arbeitsmarktpolitik und Bildung. Letzteres wird beispielsweise durch Forschungen rund um das wichtige Thema Integration von Flüchtlingen und Migranten in den deutschen Arbeitsmarkt ergänzt.

In der Energiepolitik hat das RWI über Jahrzehnte die Subventionierung der Steinkohle als problematische und mit Blick auf die Zukunft des Ruhrgebiets falsche Weichenstellung kritisiert. In der Politik gab es dafür keineswegs nur Beifall. Am Ende aber stand der Kohleausstieg.