Essen. . Lotte de Beer kehrt mit Bizets „Carmen“ ans Aalto-Theater zurück. Ihre Neuinszenierung des Opernhits von 1875 wird zum Spiel mit Rollenklischees.

Seit sie für ihre Deutung von „Rusalka“ gefeiert wurde, ist viel passiert im Leben von Lotte de Beer. Die Regisseurin hat junge Leute beim Grachtenfestival in Amsterdam mit „Traviata Remixed“ gerockt und gerührt, „Mosè in Egitto“ bei den Bregenzer Festspielen mit Puppenspiel gekreuzt, einige Wochen vor ihrem „ganz nackten“ Münchner „Il Trittico“ ein Kind bekommen und „Lulu“ in Leipzig mit Stummfilm gezeigt. Jetzt steht wieder eine willensstarke Frau im Fokus einer Neuinszenierung. Ihre „Carmen“ löst Dietrich Hilsdorfs legendäre Milieustudie im Aalto-Theater ab.

„Sie lässt sich umbringen, um frei zu sein“

Seine in einer Gelsenkirchener Kneipe angesiedelte Interpretation, die rund 20 Jahre begeisterte, kennt die Niederländerin nicht. Georges Bizets Opera comique dafür sehr gut. 1875 schuf er sie nach Prosper Mérimées gleichnamiger Novelle. Sie wurde zum Vorboten der realitätsnahen Oper und die freiheitsliebende wie verführerische Arbeiterin einer Zigarettenfabrik in Sevilla zu einer der Hauptfiguren in der Geschichte der Frauenemanzipation des 19. Jahrhunderts. Denn sie liebt nur den, den sie lieben will, und ordnet sich nicht unter. Eine eigenständige und für damalige Verhältnisse gefährliche Frau. Auch für den naiven Don José, der mit der tugendhaften Micaëla verbandelt ist. Von seinen Besitzansprüchen genervt, erobert sie den Torero Escamillo. „Am Ende steht ein Mord. Sie könnte noch weglaufen. Doch sie lässt sich umbringen, um frei zu sein“, so Lotte de Beer.

Beliebt ist „Carmen“ aber nicht nur wegen ihrer leidenschaftlichen Titelheldin. „Der Herzschlag in diesem Stück ist einzigartig.“ Und der wird nicht nur von mitreißender, mitsingbarer Musik wie der „Habanera“ getragen, die spanisches Flair versprüht, sondern auch vom Heranzoomen an das Drama und dem Herauszoomen aus dem Drama.

Eine besondere Verbindung zu Bizet

„Einen Click“, eine besondere Verbindung, zu Bizet hat sie bereits bei der Umsetzung von „Les Pêcheurs de Perles“ in Wien gespürt. „Die Theatralität stimmt mit meinem Vorstellungsvermögen überein.“ Die Atmosphäre von Frivolität könne allerdings kitschig rüberkommen. „Das habe ich als Schwierigkeit empfunden.“ Die Reaktion war Reduktion auf das Wesentliche. „Wir sind in der dritten emanzipatorischen Bewegung. Die Gesellschaft denkt wieder nach, welche Rolle wir spielen wollen“, erklärt die 37-Jährige. Vor diesem Hintergrund von Weiblichkeit, Männlichkeit und den damit verbundenen Rollenklischees erzählt sie die Geschichte von zwei Frauen und zwei Männern, „ohne sie ins Jetzt zu ziehen“.

Karg ist die Bühne bestückt, obwohl ihre Ausstatter Clement & Sanôu gerne in Bildern schwelgen. Ein Kreis auf dem Boden kann als Welt und als Stierkampfarena gesehen werden. Und es gibt Menschen. „Damit machen wir Bilder.“ Solisten, Chor, Extrachor, Männer und Frauen und Kinder tragen das gleiche Basiskostüm, mit dem sie sich choreografisch unterfüttert in das jeweils andere Geschlecht verwandeln können.

„Das war für sie eine Herausforderung, sich zurückzunehmen. Aber sie haben tolle Sachen aus der Einfachheit geschaffen“, sagt die Regisseurin.

Szenenwechsel. Mit ihrer einjährigen Tochter und einem Kindermädchen im Gepäck kann Lotte de Beer anschließend das andere Extrem in Amsterdam genießen: „Ich mache dort einen ,Barbier von Sevilla’ mit allem Drum und Dran.“

Ein Besuch bei „Carmen“

Lotte de Beers Neuinszenierung von Bizets „Carmen“ hat am 13. Oktober Premiere im Aalto-Theater. Es gibt nur noch wenige Restkarten in allen Preisgruppen.

Gezeigt wird die Oper in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln.

Die musikalische Leitung hat Sébastien Rouland. In den Hauptpartien sind Bettina Ranch als Carmen, Luc Robert als Don José, Jessica Muirhead als Micaëla und Almas Svilpa als Torero Escamillo zu erleben.

Karten unter: 8122 200 oder www.theater-essen.de