Essen. Das Bildungs- und Teilhabepaket soll auch Sportclub oder Musikschule zahlen - in Essen profitieren nur elf Prozent der berechtigten Kinder davon.

Die Mitgliedschaft im Sportverein, das Erlernen eines Instruments, die Teilnahme an Freizeiten: Geht es nach dem Gesetzgeber, soll all das auch Kindern aus armen Familien möglich sein. Doch das dafür im Bildungs- und Teilhabepaket (But) bereitgestellte Geld kommt oft nicht bei den Betroffenen an. In Essen profitieren besonders wenige Kinder von der staatlichen Hilfe.

Das geht aus einer Untersuchung des Paritätischen hervor, der sich angeschaut hat, wie viele Kinder zwischen sechs und 15 Jahren in den deutschen Städten jeweils die But-Leistungen erhalten. Das Augenmerk des Wohlfahrtverbandes galt dabei den „soziokulturellen Teilhabeleistungen“, weil sich diese bundesweit gut vergleichen lassen.

In Nordrhein-Westfalen liegt die Quote armer Kinder, die diese Leistungen erhalten bei mageren 15 Prozent und damit im Bundesschnitt. Sprich: 85 Prozent der Kinder, die von Sozialleistungen leben, erhalten keine finanzielle Hilfe, um zum Beispiel in den Fußballclub oder die Musikschule zu gehen. Und Essen erreicht sogar noch weniger Kinder aus der Zielgruppe: Von 15 212 Berechtigten erhalten nur 1663 die Mittel – das sind 10,9 Prozent.

In Hamm kommt das Geld bei fast allen Berechtigten an

Der Vergleich mit anderen Städten zeigt, dass es auch anders geht. Im benachbarten Mülheim etwa liegt die Quote bei 55,8 Prozent, in Münster bei rund 80 Prozent und in Hamm sogar bei 91,3 Prozent. Das Phänomen Hamm haben sich die Experten vom Paritätischen genauer angesehen und festgestellt, dass die Stadt die Antragstellung für die Mittel besonders leicht macht. Dort gebe es „Global- und Allgemeinanträge“: Wenn jemand Hartz-IV oder Wohngeld beantragt, „werden automatisch alle But-Leistungen, die über eine Youcard abgerechnet werden, bewilligt und auf die Karte gebucht“. Das gilt für alle Kinder, unabhängig davon, ob sie die Leistungen nutzen. Das handliche Verfahren ermuntert offenbar viele dazu, die Leistungen wahrzunehmen.

Zudem bietet Hamm Sportvereinen und anderen Trägern ein unbürokratisches Abrechnungsverfahren: Sie müssen nicht mehr umständlich Einzelanträge stellen, sondern buchen alle Leistungen über die Youcard ab. Und schließlich gebe es „Bildungsbegleiter“ im Jobcenter, die für eine rasche Information der Betroffenen sorgen.

„Die Hilfe für Kinder darf nicht vom Wohnort abhängen“

Wieso es in Essen, wo ein Drittel aller Kinder von Sozialleistungen lebt, nicht annähernd so gut gelingt, die Mittel zu verteilen, konnte die Stadt auf Anfrage am Dienstag noch nicht beantworten. Der Geschäftsführer des Paritätischen in Essen, Konrad Lischka, betont jedoch: „Es darf nicht vom Wohnort abhängen, ob Kinder bei einer Freizeit oder am Vereinsleben teilhaben können.“

Noch eins stellt Lischka klar: Kinderarmut habe weitreichende Folgen für das Leben der Betroffenen: „Wer ohne Pausenbrot in die Schule kommt, für wen ausreichende Lehrmittel ein Luxus sind und der Familienurlaub ein Traum bleibt, der hat grundsätzlich weit weniger Bildungs- und Aufstiegschancen.“ Der Paritätische fordere daher eine Kindergrundsicherung, höhere Hartz-IV-Sätze – und „ausreichende Angebote und leichten Zugang zur Jugendarbeit“. Hier besteht in Essen noch Handlungsbedarf.

>>> DACHVERBAND SOZIALER ORGANISATIONEN

Der Paritätische ist einer der sechs Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in Deutschland. Ihm gehören eigenständige soziale Initiativen, Organisationen und Einrichtungen an, z.B. Arbeiter-Samariter-Bund, Kinderschutzbund, Pro Familia, Frauenhäuser, Migranten-Organisationen und Selbsthilfegruppen. In Essen sind 100 Organisationen Mitglied im Paritätischen.