Essen. . Das Kriegsmal prägte von 1915 bis 1918 den Bahnhofsvorplatz. Essener Bürger konnten hier Nägel einschlagen, um Kriegsopfern zu helfen.
Wer im Jahr 1916 mit dem Zug in der Stadt ankam, der wurde von einem ganz besonderen Essener begrüßt: dem Schmied von Essen. Das gewaltige Holzmonument mit lokalen Motiven war im Juli 1915 genau vor dem Handelshof errichtet worden. Als sogenannte Kriegsnagelung diente der Schmied dem Sammeln von Spenden. Er war die Essener Version eines Massenphänomens, das sich ab dem Jahr 1915 von Wien aus im gesamten deutschsprachigen Raum verbreitete. In eigens dafür aufgestellte Holzfiguren konnten Bürger gegen eine Spende Nägel oder kleine Tafeln einschlagen. Das so gesammelte Geld sollte Kriegsopfern zugute kommen. „Diese Figuren waren ein Massenphänomen und standen immer an prominenter Stelle, weil ja Geld gesammelt werden sollte“, sagt Klaus Wisotzky, Leiter des Haus der Essener Geschichte, über die Aktionen.
Der Essener Schwertmann, wie ihn die Zeitungen damals auch nannten, geht auf eine Idee von Edmund Körner zurück. Der Architekt Körner war durch den Bau der Essener Synagoge von 1911-1913 bekannt geworden und trat 1915 mit der Idee zur Errichtung des Kriegsmals an die Essener Verwaltung heran. Vorgestellt wurde der Plan schließlich vom damaligen Oberbürgermeister Wilhelm Holle am 10. Juni 1915.
Bei der Gestaltung des Schmieds war Körner dann ebenfalls involviert. Er entwarf eine tempelähnliche Halle, in der die Nagelfigur untergebracht werden sollte, während der Berliner Bildhauer Ludwig Nick mit der Gestaltung der Figur beauftragt wurde.
Kaiserzitate neben der Holzfigur
Der Entwurf sah ein dreiteiliges Bild vor, in dessen Mitte der Schmied vor einem Eisernen Kreuz steht. Der Mann ist mit einem Schurzfell bekleidet und hält in seinen Händen den Reichsschild und ein großes Schwert. Neben der Figur stehen zwei Zitate aus einer Rede des Kaisers: „Wir werden uns wehren bis zum letzten Hauch von Mann und Ross“ und „Noch nie wurde Deutschland überwunden, wenn es einig war.“ Zu den Füßen des Schmieds sind das Wappen der Stadt Essen und die Ringe der Firma Krupp zu sehen. Auch auf der von Körner entworfenen Halle waren zwei Sprüche angebracht: „Zusammen haltet euren Wert und euch ist niemand gleich“ aus Goethes „Des Epimenides Erwachen“ stand auf der rechten Seite, auf der linken Seite der Sinnspruch aus dem 19. Jahrhundert „Wo Isen Ligg Wo Erken Wass’t Dao Wass’t Auk Lu De Daobi passt“, was ungefähr zu übersetzen ist mit „Wo Eisen liegt, wo Eichen wachsen, da wachsen auch Leute, die dazu passen.“ Mit einer Höhe von rund 3,5 Meter muss der Schmied eine imposante Figur gewesen sein. Die Kosten für die Anlage von immerhin 12 000 Reichsmark übernahmen Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und seine Frau Bertha. Auch andere Spender, etwa der Diplomat Julius von Waldthausen oder der Beigeordnete Ortwin Grevel beteiligten sich an den Kosten für die Nägel und Ansichtspostkarten.
1387 Nägel am ersten Tag
Die Eröffnung des Schmieds fand schließlich am 25. Juli 1915 statt. Abordnungen aller Essener Kriegervereine versammelten sich vor dem Hauptbahnhof, viele Schaulustige tummelten sich an den Fenstern der benachbarten Häuser. Bis zum Abend waren 1387 Nägel in die Holzfigur geschlagen.
Neben Privatpersonen fanden auch viele Nagelungsfeiern von Vereinen, Betrieben und Schulklassen an dem Schmied statt. So beging etwa die Gemeinde Rellinghausen am 31. Oktober 1915 ein eigens dafür ins Leben gerufenes Nagelfest.
Die Sammlung lief insgesamt drei Jahre, am 17. Oktober 1918 wurde das Ende beschlossen. Bis dahin wurden rund 420 000 Reichsmark an Spenden eingenommen, von denen nach Abzug aller Kosten rund 356 000 Mark übrig blieben. Angesichts der hoher Ziele, die man im Jahr 1915 hatte, muss das als Misserfolg betrachtet werden. Anders als zuvor angekündigt, wurde ein Großteil der Spenden in Kriegsanleihen angelegt statt in die Kriegsfürsorge. Der Schmied wurde anschließend eingelagert.
„Die Figur war ein Symbol des Kaiserreichs, das man schnell weg- haben wollte“, erklärt Wisotzky. Das änderte sich 1934. Die Figur wurde restauriert und im Grugapark neben den Farbenterrassen aufgestellt. „Entscheidend für die erneute Aufstellung waren Propaganda und die nationale Begeisterung in den 1930er Jahren“, so Wisotzky.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Schmied durch Kriegseinwirkungen endgültig zerstört. Heute finden sich von der Figur, die den Essener Bahnhofsplatz für drei Jahre prägte und später in der Gruga ihren Platz fand, keine Spuren mehr in der Stadt.
Die Bedeutung von Kriegsdenkmälern im Wandel
Kriegsdenkmäler sind Teil der Erinnerungskultur: Sie sind Erinnerungsorte und sollen Identifikation stiften. Die Bedeutung eines Denkmals wird oftmals von den Denkmalstiftern vorgegeben. Allerdings ist diese auch mit der Zeit wandelbar, wie Archivleiter Klaus Wisotzky erklärt: „Erinnerungen an die Opfer flauen mit der Zeit ab. Das Denkmal bekommt so oft eine andere Bedeutung.“
In der europäischen Denkmalkultur gab es immer wieder Veränderungen. Die Französische Revolution demokratisierte das Kriegsdenkmal. Während früher lediglich den Feldherren ein Denkmal gesetzt wurde, waren dann einzelne Soldaten denkmalfähig. Der Erste Weltkrieg, der geprägt war durch ein noch nie dagewesenes Massensterben, war dann eine Zäsur in der Denkmalkultur. In beinahe jeder Gemeinde wurde ein Denkmal errichtet, weil sie Söhne, Brüder und Nachbarn auf den Schlachtfeldern verloren hatten.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich das Gedenken. Statt heroischer Krieger und Totenkult erinnern Gedenktafeln und Stolpersteine, so Wisotzky: „Es gibt andere Formen des Gedenkens, die mehr die Opfer in den Fokus rücken.“
Alle weiteren Folgen des Projekts finden Sie auf unserer Collage: