Essen. Die Probleme der Gastromeile „Essen verwöhnt“ zeigen: Viele Essener mögen ihre Innenstadt nicht mehr. Für die Geschäftevielfalt hat das Folgen.

Es ist nicht der große Knall, der Innenstädte verändert, es ist die schleichende Entwicklung, und irgendwann kommt der Punkt, an dem es kippt. Nun ist Essen nicht Herne oder Gelsenkirchen, noch immer hat der Stadtkern viel zu bieten, die Substanz ist größer und folglich der Abstieg länger. Aber die Richtung ist leider unübersehbar.

Jüngstes Beispiel sind die Probleme der ältesten Essener Gastro-Meile „Essen verwöhnt“, die in der Innenstadt lange florierte und für manchen überhaupt ein Grund war, sich mal wieder im Stadtkern sehen zu lassen. Inzwischen laboriert die Veranstaltung an den immer aufwendigeren Sicherheitsanforderungen, was allerdings jeden betrifft, der in der City etwas auf die Beine stellen will.

Die manchmal chaotische Vielfalt innerstädtischen Lebens wollen sich viele nicht mehr antun

Vielleicht noch wichtiger ist aber der Clash der Kulturen, den sich viele so nicht mehr antun möchten. Wer eine Gastromeile besucht, will essen, trinken und mit Freunden plaudern, aber nicht unbedingt mit menschlichem Elend in Form aggressiver Bettelei konfrontiert werden. Das zumindest ist die Beobachtung der Veranstalter.

Sicher, Innenstädte waren seit jeher Schmelztiegel, in denen die ganze Vielfalt des städtischen Lebens zusammenkam. Arme und Wohlhabende, Paradiesvögel und bürgerliche Naturen, am Leben Gescheiterte und junge Dynamiker, Fremde und solche, die schon länger hier leben – mancher sieht gerade in dieser Mischung einen Reiz.

Wenn nicht alles täuscht, nimmt genau diese Sichtweise allerdings ab. Gerade von Essenern aus besseren Vierteln erntet man vielfach Kritik, Ablehnung oder ersatzweise ein ironisches Zucken im Mundwinkel, wenn die Rede auf die Innenstadt kommt. Kein Zweifel, das Urteil ist hier längst gesprochen, die Abstimmung mit den Füßen entschieden.

Vermieter, die immer noch Mondpreise für ihre Ladenlokale fordern

Das wiederum hat unmittelbare Auswirkungen auf den Geschäftsbesatz. Wenn Menschen mit Geld lieber in Düsseldorf, in Outlet-Zentren, oder im Internet shoppen, sinkt zwangsläufig das Niveau in klassischen Einkaufsstraßen wie der Kettwiger, und irgendwann ist dann eben Feierabend.

Das gilt zumal dann, wenn Vermieter den Schuss nicht gehört haben und immer noch Mondpreise für ihre Ladenlokale verlangen. Mit Rüttenscheid steht zudem eine heimische Alternative bereit, wo Raum zwar knapp ist und Vermieter garantiert ebenfalls keine Geschenke verteilen. Immerhin aber stimmt hier die Kundenstruktur. Makler berichten, dass sie von Geschäftskunden immer häufiger nach Rüttenscheid statt nach der Innenstadt gefragt werden.

Sauberkeit und Arbeit am Ambiente sind Dauerbaustellen

So gerät die Innenstadt von vielen Seiten unter Druck, auf eine gute Nachricht – auch die gibt es – kommen gefühlt zwei schlechte. Stadtverwaltung und städtische Töchter sind daran nicht unschuldig. Die Marketing-GmbH hat sich zu lange auf scheinbar Bewährtem ausgeruht, was sich hoffentlich mit der neuen Leitung ändert. Sauberkeit und Arbeit am Ambiente sind ohnehin Dauerbaustellen.

Und schließlich müssen auch wir Bürger erkennen, dass unser Rückzug und der Substanzverlust eine Kausalkette bilden. Noch ist es, anders als in mancher Nachbarstadt, vielleicht nicht zu spät in Essen. Aber viel Zeit bleibt nicht mehr.