Essen. . Fünf junge Männer aus dem Ruhrgebiet sollen Schülerinnen vergewaltigt haben. Am Freitag beginnt der Prozess am Landgericht Essen.
Es klang so einfach, als Polizei und Staatsanwaltschaft im Februar an die Öffentlichkeit gingen und nach Tätern und Opfern einer Serie von Gruppenvergewaltigungen suchten. Von „besonders abscheulichen Straftaten“ sprach damals die Polizei. Am Freitag beginnt am Landgericht Essen der Prozess gegen fünf junge Männer aus Gelsenkirchen, Essen und Wuppertal, die zwischen August 2016 und dem 24. Januar 2018 sieben Schülerinnen zum Sex gezwungen haben sollen.
21 Verhandlungstage hat die V. Jugendstrafkammer für diesen Fall bis November angesetzt. Und allein diese Zahl zeigt, dass die Suche nach der Wahrheit nicht ganz so einfach sein wird. „Es geht schlicht darum, ob die sexuellen Handlungen erzwungen wurden oder einvernehmlich erfolgten“, umreißt der Essener Rechtsanwalt Wolfgang Küpper-Fahrenberg, der den 19 Jahre alten Gianni H. verteidigt, die Problematik aus seiner Sicht. Er fügt hinzu, dass es sich um Mädchen gehandelt habe, „die bereit waren, nachts in Autos von Männern zu steigen“. Dies sei der Hintergrund.
Treffen über WhatsApp organisiert
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Staatsanwältin Rebecca Henrich hat einen anderen Blick. In ihrer 25 Seite umfassenden Anklage spricht sie eindeutig von sieben erzwungenen Taten, räumt aber ein, dass es durchaus auch einvernehmliche sexuelle Handlungen gab, zu denen sich die Angeklagten mit Schülerinnen trafen. Dazu hätten Joshua E. (20) aus Wuppertal, Gianni H. (19) aus Essen sowie die Gelsenkirchener Dean Martin L. (18), Enrico F. (24) und ein 17-Jähriger die von ihnen eingerichteten WhatsApp-Gruppen „Spinnen GE“ und „Scorpions MC 1 %“ genutzt, um sich über Mädchen auszutauschen und Treffen zu planen.
Dean Martin L. soll der Lockvogel gewesen sein. Im Februar hatte die Polizei nach ihm mit Foto und vollem Namen gefahndet, weil er als untergetaucht galt. Kurz darauf stellte er sich mit seinem Rechtsanwalt Hans Reinhardt der Gelsenkirchener Polizei. Seitdem sitzt er in U-Haft – so wie drei seiner Mitangeklagten.
Schülerinnen kannten die Angeklagten
In wechselnder Beteiligung soll die Gruppe, manchmal mit weiteren Komplizen, die Schülerinnen zu nächtlichen Treffen eingeladen haben. Die Mädchen waren offenbar arglos, denn sie kannten einen Großteil der Verdächtigen. Zwei waren auch mit Dean Martin L. eine Zeitlang ein Pärchen.
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Laut Anklage fuhr die Gruppe mit den Schülerinnen in einsame Waldgebiete in Essen-Werden oder in Datteln, einmal auch in ein Bochumer Hotel. Den 16-Jährigen sei jeweils das Handy weggenommen worden. So sei eine hilflose Lage entstanden. Danach seien sie zum Sex aufgefordert worden. Es sei ihnen gedroht worden, sie bei einer Weigerung im Wald zurückzulassen. Manchmal wurde auch gesagt, man schlage sie sonst kaputt.
Nach dem Sex nach Hause gefahren
Nachdem die Schülerinnen die Gruppenmitglieder sexuell befriedigen mussten, wurden sie nach Hause gefahren. Geschlagen wurde eine von ihnen, angebrüllt fast alle. Sicherlich wirkte auch die Zahl der jungen Männer und ihre körperliche Präsenz auf die Mädchen bedrohlich. Und der ein oder andere der Angeklagten erzählte später bei der Polizei, er habe schon gemerkt, dass die Mädchen den Sex eigentlich abgelehnt hätten.
Zwei der Mädchen zeigten die mutmaßlichen Taten kurz darauf bei der Polizei an. In zwei weiteren Fällen meldeten sie sich nach einem Presseaufruf im Februar, einige Zeit nach den Vorfällen. Die weiteren Fälle der Anklage ermittelte die Polizei ohne Anzeige.
Eine soll ihre Freundin angeboten haben
Zur Wahrheit der „besonders abscheulichen Straftaten“ gehört aber auch, dass eines der Mädchen eine arglose Freundin für den Sex angeboten haben soll. Dafür wurde sie selbst dann in Ruhe gelassen. Gegen sie läuft aktuell ein Ermittlungsverfahren wegen Vergewaltigung. Und: Bei einer anderen reichte es, dass sie sich weigerte und damit drohte, das Verlangen der Angeklagten deren Sinti-Familien zu berichten. Ob die jungen Männer davor Angst hatten? Sie ließen jedenfalls ab von ihr, heißt es.
Nach der ersten Pressekonferenz hatten islamfeindliche Seiten im Internet der Polizei und der bürgerlichen Presse vorgeworfen, „die Wahrheit über die Gruppenvergewaltiger“ zu verschweigen. Denn tatsächlich handele es sich bei ihnen um „muslimische Migranten“. Dabei sind die mindestens seit Jahrzehnten im Grenzgebiet Essen/Gelsenkirchen lebenden Familien der Angeklagten Angehörige der Sinti und Deutsche, die Polizisten und Strafjuristen durchaus bekannt sind. In der Regel nicht als Sexualtäter.
Vorfahren wegen ähnlicher Taten verurteilt
Eine Ausnahme gibt es, und die ist in den letzten Wochen auch zu den Ermittlern gedrungen. Vor längerer Zeit, um 1990, wurden mehrere männliche Mitglieder dieser Familien, es dürften Väter oder Großväter der jetzt Angeklagten sein, wegen einer fast ähnlichen Serie von Gruppenvergewaltigungen vom Landgericht Essen verurteilt. Auch damals waren es befreundete Mädchen, die im Auto in einsame Gebiete gefahren und dort vergewaltigt wurden. Allerdings war die Tatausführung weit hässlicher als die heutige.
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Bei den Ermittlern gibt es keinen mehr, der die Fälle selbst kennt, nach den Akten wurde erfolglos gesucht. Der Ansatz von Polizei und Staatsanwaltschaft: Vielleicht haben die früheren Täter geprahlt und die jetzt Angeklagten haben die Taten nur nachgeahmt. Gruppenvergewaltigung auf den Spuren der Ahnen? Verteidiger Wolfgang Küpper-Fahrenberg, der seit Jahrzehnten Sinti verteidigt: „Das glaube ich nicht. Nach meiner Erfahrung werden derartige Sexualtaten in den Sinti-Familien eher tabuisiert.“
Anwalt erinnert an die Unschuldsvermutung
Wie der Prozess ab Freitag laufen wird, ist nicht abzusehen. Dean Martin L. zum Beispiel schwieg bislang zu den Vorwürfen. Sein Verteidiger Hans Reinhardt weiß noch nicht, ob sich das ändern wird: „Auch nach der Anklage steht er jetzt besser da als zum Zeitpunkt der Fahndung. Was wirklich passiert ist, wird hoffentlich der Prozess zeigen. Und bis zu einem rechtskräftigen Urteil gilt auch für ihn die Unschuldsvermutung.“
Auch die mutmaßlichen Opfer der Gruppenvergewaltigung werden im Prozess präsent sein. Insgesamt sind für die Nebenklägerinnen vier Rechtsanwälte tätig.