Essen. Das Essener Jugendamt musste 2017 weniger Kinder in Obhut nehmen. Das liegt auch daran, dass die Zahl der unbegleiteten jungen Flüchtlinge sank.

Das Jugendamt hat 2017 deutlich weniger Kinder und Jugendliche in Obhut genommen als im Jahr davor. Von einer Trendwende möchte Jugendamtsleiter Ulrich Engelen dennoch nicht sprechen, „eher von einer Normalisierung“. Denn 2016 war die Zahl der Inobhutnahmen zunächst sprunghaft auf 1096 gestiegen. Dabei handelte es sich in allein 470 Fällen um minderjährige Flüchtlinge, die ohne Familie nach Essen gekommen waren. Sie unterzubringen, stellte die Stadt vor enorme Herausforderungen.

2015 wurden Schlafplätze verzweifelt gesucht

Auch im vergangenen Jahr waren unter den insgesamt immerhin 842 Inobhutnahmen noch 412 jugendliche Flüchtlinge. Das entspricht einem Rückgang von knapp 13 Prozent für diese Gruppe. Daneben gelten Beziehungsprobleme oder Überforderung der Eltern als die häufigsten Gründe für eine Inobhutnahme.

Vor zwei, drei Jahren strandeten noch so viele junge Männer aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, Guinea oder Eritrea im Essener Jugendamt, dass die Mitarbeiter oft stundenlang Heime und andere Jugendhilfe-Einrichtungen abtelefonieren mussten, bis sie ein Bett gefunden hatten. Einzelne Jugendliche wurden in Hotels oder im Geku-Haus in der Innenstadt untergebracht. „Unsere gesamten Regelsysteme zur Unterbringung waren bis zum Rand gefüllt. 2015/16 ging das bis an die Grenzen des Machbaren“, sagt Engelen.

In den Flüchtlingsheimen war die Belastung groß

Inzwischen hat sich die Lage entspannt: Die damals neu eingerichtete Clearingstelle „Newland“ für junge Flüchtlinge konnte umziehen, die Platzzahl hat sich dabei von 50 auf 25 halbiert. Das Emil-Frick-Haus am Baldeneysee kann nun wieder für Klassenfahrten genutzt werden. „Wir kehren wieder langsam zur ursprünglichen Situation zurück“, sagt Engelen.

Das liege auch daran, dass die Zeltdörfer aufgelöst wurden und sich die meisten anderen Flüchtlingsunterkünfte geleert haben. „Die beengte Wohnsituation, das Aufeinanderhocken von teils hoch traumatisierten, von der Flucht erschöpften Menschen hat großen Druck auf die Familien ausgeübt“, erklärt Ulrich Engelen. Regelmäßig habe das Jugendamt auch Kinder aus den Flüchtlingsheimen (vorübergehend) in Obhut nehmen müssen. Seit die meisten Bewohner in eigene Wohnungen gezogen sind, habe sich die Lage in den Familien zumindest entspannt. In Krisenfällen könnten sie nun die Beratungsangebote im Stadtteil wahrnehmen; auch darum gebe es wohl weniger Inobhutnahmen.

Inobhutnahmen betreffen oft zugewanderte Familien

Unbestreitbar ist aber, dass diese Schutzmaßnahme, die für Notfälle vorgesehen ist, noch immer recht oft ergriffen werden muss – und dass sie in vielen Fällen mit der Einwanderung zu tun hat. 2017 waren die meisten der in Obhut genommen Kinder und Jugendlichen Jungen. Zudem waren zwei Drittel von ihnen älter als 14 Jahre – beides Merkmale, die auf die unbegleiteten Flüchtlinge zutreffen.

Auch wenn man die hohe Zahl alleinreisender, junger Flüchtlinge in Rechnung stellt, bleibt der Anteil zugewanderter Familien bei Inobhutnahmen insgesamt hoch: So gab es 2016 bei 733 der 1096 Fälle einen Migrationshintergrund, im Jahr 2017 waren es 588 von 842 Fällen. Ob es an besonderen Belastungen, der schwierigen sozialen Situation oder mangelnder Kenntnis der Hilfsangebote liegt, vermag Engelen nicht letztgültig zu sagen.

Aber man darf die Zahlen wohl auch als ein Indiz für die Mühen der Integration werten.

>>> JUGENDAMT SUCHT NEUE PFLEGEFAMILIEN

Wenn ein unmittelbares Handeln zum Schutz eines Minderjährigen in Eil- oder Notfällen erforderlich ist, nimmt das Jugendamt die Kinder in Obhut. Die Zahl dieser Schutzmaßnahmen ist in Essen von 1096 im Jahr 2016 auf 842 im vergangenen Jahr gesunken. Damit liegt der Rückgang in Essen etwas unter dem Landesschnitt von 28,6 Prozent.

2015 wurden in Essen 108 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Obhut genommen. 2016 waren es 470 und 2017 sank die Zahl leicht auf noch 412.

Säuglinge/Kleinkinder werden in Pflegefamilien untergebracht, ältere Kinder in Jugendschutzeinrichtungen. Bei zehn Prozent der 842 Kinder und Jugendlichen geschah die Inobhutnahme auf eigenen Wunsch. Das Jugendamt sucht übrigens regelmäßig neue Pflegefamilien. Die Ansprechpartner bei den Sozialen Diensten sind: Frau Schreinert: Telefon 0201-88 51 365 und Herr Bluhm: 0201-88 51 010.