Essen. . Auch in Essen kommen immer mehr minderjährige Flüchtlinge ohne ihre Familie an. Nun hat die Stadt ein Zuhause auf Zeit für sie eingerichtet.

Dass das Internat des Kolping-Berufsbildungswerks in Kray zuletzt schlecht ausgelastet war, erweist sich dieser Tage nicht als Problem – sondern als Glücksfall. Ab sofort können dort minderjährige Flüchtlinge einziehen, die sich allein nach Deutschland durchgeschlagen haben. Sie sollen nicht in Zeltdörfern mit hunderten Bewohnern untergebracht werden, sondern hier im Heim mit nur 50 Plätzen und Profis für traumatisierte Jugendliche.

„Newland“ haben sie dieses Haus getauft, und Neuland wird hier in vielfacher Hinsicht betreten. Selten wurde eine Jugendeinrichtung in wenigen Monaten erdacht und umgesetzt, noch dazu getragen von zwei Wohlfahrtsverbänden: Diakoniewerk und Sozialdienst katholischer Frauen (SkF), die langjährige Erfahrungen mit jungen Menschen und mit Flüchtlingen haben, arbeiten hier im Auftrag der Stadt. Beide stellen auch eine der Leiterinnen, die sich erst kürzlich kennengelernt haben und seit Montag zusammenarbeiten. „Immerhin war unser Team vor den ersten Bewohnern da“, sagt Nadja Martella vom SkF.

"Jede Woche acht bis zehn minderjährige Flüchtlinge"

Ehrenamtliche als Vormünder gesucht

Seit Anfang November sollen auch unbegleitete minderjährige Asylbewerber (UMA) gleichmäßig auf die Kommunen des Landes verteilt werden. Bislang kümmerten sich einige wenige Städte um diese besonders schutzbedürftige Gruppe.

Die 134 UMAs, die bereits in Essen leben, bleiben in ihren Heimen oder Wohngruppen. Neuankömmlinge werden ab jetzt in der Einrichtung Newland untergebracht. Diese wird vom Diakoniewerk und vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) getragen und sitzt im Internat des Kolpings-Berufsbildungswerks am Zehnthof. Hier können 50 Jugendliche von 13 bis 17 Jahren für je drei bis sechs Monate untergebracht werden. 40 Mitarbeiter – Psychologen, Bezugsbetreuer, Sprach- und Kulturmittler – betreuen die Kinder.

Das Jugendamt nimmt die Minderjährigen in Obhut und bestellt einen Vormund. Weil die amtlichen Vormünder überlastet sind, springt der SkF hier als „Vereinsvormund“ ein. Zwei SkF-Kolleginnen beziehen dafür ein Büro bei Newland. Auch Ehrenamtliche sollen bald solche Vormundschaften übernehmen. Sie sollten Einfühlungsvermögen und Erfahrung mit Kindern mitbringen, ihr Mündel mindestens einmal monatlich treffen und es rechtlich vertreten. Der SkF arbeitet derzeit an einer Info-Website zum Thema.

Wenn am heutigen Donnerstag zehn Flüchtlingskinder einziehen, wird es in den Internatszimmern im ersten Stock noch nach Farbe riechen, und die Renovierung der oberen Etagen noch laufen. Das aber dürfte das geringste Problem sein, glaubt Stefanie Dietz vom Diakoniewerk: „Erstmal stillen wir hier Grundbedürfnisse: Essen, Schlafen, Duschen. Einige werden Angst haben oder sich sorgen, weil sie ihr Smartphone verloren haben.“ Und damit den Kontakt zur Familie.

Um die Nöte der Jugendlichen kümmert sich ein 40-köpfiges Team, das Übersetzung ebenso bietet wie psychologische Beratung. Es hilft den jungen Flüchtlingen, eine Tagesstruktur zu entwickeln, gibt ersten Unterricht im Haus und schaut, wie es langfristig mit Schule, Ausbildung und Wohnen weitergehen soll.

Denn Newland ist eine Clearingstelle: Hier wird geklärt, welche Aussichten die Jugendlichen haben. Nach drei bis sechs Monaten sollen sie zu Verwandten, in Pflegefamilien, Heime oder Wohngruppen. An diesen Anschluss-Lösungen arbeitet man mit Hochdruck, „weil jede Woche acht bis zehn minderjährige Flüchtlinge hier ankommen“, sagt Jugendamtsleiterin Annette Berg.

Newland nimmt nur junge Männer auf

Anders gesagt: Newland wird nur kurz für Entlastung sorgen, und es wird schwer, noch mal ein ähnlich gut ausgestattetes Haus zu finden. Auf drei Etagen findet sich neben Einzel- und Doppelzimmern, Bädern und Aufenthaltsräumen auch je eine Küche, so dass sich die Bewohner selbst Mahlzeiten zubereiten können. Gleichzeitig steht ihnen die Mensa des Berufsbildungswerkes zur Verfügung, in dem ja weiter junge Essener ausgebildet werden, die es auf dem ersten Arbeitsmarkt schwer haben.

So sieht sich das Haus nicht nur als Vermieter, sondern auch als Partner, wie Geschäftsführer Andreas Konze betont: Man werde auch den jungen Flüchtlingen helfen, berufliche Perspektiven zu entwickeln: „Die Kolping-Idee ,berufliche Bildung – Heimat geben’ lebt weiter.“

Newland nimmt übrigens nur junge Männer auf, die eh das Gros der minderjährigen Flüchtlinge stellen. (Für Mädchen werden sieben Plätze im Schutzhaus Domi-Ziel geschaffen.) Dass die Newland-Leitung rein weiblich besetzt ist, könne man auch als politische Bildung verstehen, heißt es: Schließlich kommen die Neuankömmlinge meist aus patriarchalisch geprägten Kulturen.