Essen. Ali Al Hussien (21) wurde bei dem Horror-Unfall in Essen schwer verletzt. 2015 war er in der Hoffnung auf ein sicheres Leben aus Syrien geflohen.

Vor zweieinhalb Jahren floh Ali Al Hussien mit seinem Bruder aus Syrien nach Deutschland, in Sicherheit, wie seine Eltern hofften. Am Samstag wurde der 21-Jährige in der Innenstadt Opfer eines heftigen Unfalls – verursacht durch zwei Männer in seinem Alter (22), die sich offenbar ein Autorennen geliefert hatten. „Er hat unglaubliches Glück, dass er noch lebt“, sagt die Ärztin, die ihn zuerst am Uniklinikum behandelte. Al Hussien erlitt einen Schienbeinbruch und eine Platzwunde am Kopf. Und er verlor das Vertrauen, dass ihm hier schon nichts geschehen könne.

Der Wagen rast auf die Menge zu, reißt eine Ampel um

An den Horror-Unfall, bei dem sechs Menschen verletzt wurden, hat er bruchstückhafte Erinnerungen. Wie berichtet, sollen ein 5er BMW und ein Mercedes CLK 320 am Samstagabend mit hohem Tempo am Berliner Platz unterwegs gewesen sein. Gegenüber vom Einkaufscenter Limbecker Platz warten Passanten an der Ampel, als der BMW den Mercedes abdrängt. Dessen Fahrer weicht aus, reißt einen Ampelmasten und einen Poller um, rast in die Menge, kommt erst an einem Baum zum Stehen.

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Auch Ali Al Hussien steht an der Ampel, er kommt vom Musikunterricht, ist auf dem Heimweg. „Ich sah zwei Autos, schnell und ganz nah, sie berührten sich, der Mercedes kam auf uns zu...“ Dann verlor er das Bewusstsein. Er erinnert sich nicht mal, ob er Angst hatte, als er den Mercedes auf sich zurasen sah. „Es war nur eine Sekunde.“

Als er die Augen öffnet, sieht er Polizisten über sich

Noch an der Unfallstelle kommt er kurz zu sich, sieht Feuerwehrleute und Polizisten, die sich nach seinen Schmerzen erkundigen. „Das Bein tat weh, am Kopf habe ich nichts gespürt.“ Bevor ein Arzt ihn sediert, erkundigt sich eine Freundin aus der Musikschule, wen sie informieren solle. Ali Al Hussien fallen die beiden Verwandten ein, mit denen er zusammenwohnt. Als er das nächste Mal die Augen öffnet, liegt er im OP. Die Platzwunde wird genäht, der Bruch operiert, zwei Nägel hat er nun im Bein.

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Von Martin Spletter und Jörg Maibaum

Aufwachen wird er erst wieder am Sonntagmorgen. Bis dahin hat seine Mutter in Syrien etliche Male versucht, ihren Sohn zu erreichen. Seit er 2015 mit seinem Bruder aus der Heimatstadt Al Hassaka floh – „weil junge Männer entweder zum Militär müssen oder verhaftet werden“ – telefoniert die Familie täglich. Die Eltern leben in einer gefährlichen Region, die Söhne müssen sich ein neues Leben aufbauen.

„Meine Mutter hat gespürt, dass etwas passiert ist“

Dass Ali einen Tag lang nicht ans Handy geht, macht die Mutter krank vor Sorge. Am Sonntag meldet er sich endlich, behauptet zunächst, es sei alles okay. „Aber sie hat geweint, weil sie spürte, dass etwas passiert ist.“ Inzwischen kann Ali Al Hussien seine Familie beruhigen: Die Ärzte kümmerten sich sehr gut um ihn, sein Zimmernachbar muntere ihn auf, in zehn Tagen werde er wohl entlassen.

Auch die Schmerzen haben nachgelassen, doch der Unfall hat ihn verunsichert. „Ich dachte immer, ich bin in Essen an einem sicheren Ort. Jetzt habe ich Angst vor Autos.“ Er mache gerade selbst den Führerschein und wisse, wie streng die Verkehrsregeln hier seien. Dass junge Männer wie er die Straße zur Rennstrecke machen, habe er sich nie vorstellen können.

Die Polizei geht von langwierigen Ermittlungen aus

Die beiden Unfallfahrer schweigen zu dem Geschehen. Die Essener Polizei hat ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben und wird in diesen Tagen Zeugen vernehmen. Man hoffe auf weitere Zeugen sowie auf „verwertbares Videomaterial“, ob aus Kameras von Geschäften oder von den Smartphones von Passanten, sagt Polizeisprecher Marco Ueberbach. Es werde Wochen dauern, den „kompakten Sachverhalt“ aufzuklären.

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Am Mittwoch wurde die zerstörte Ampel-Anlage im Herzen der Stadt repariert, und Ali Al Hussien richtete den Blick schon wieder nach vorn: Er wolle rasch den B2-Deutschkurs beenden, einen Job finden. Vielleicht dürfe er dann die Eltern herholen. In naher Zukunft sieht er nur eine Hürde: „Meine Wohnung ist im dritten Stock“, sagt er und blickt auf das verletzte Bein.

>> DISKUSSION ÜBER ANGEBLICHE RASER-SZENE

Nach dem Unfall am Berliner Platz wird in der Stadt und in sozialen Netzwerken lebhaft über eine Raser-Szene in Essen diskutiert. Es heißt, junge Männer lieferten sich häufig Autorennen. Die Polizei bestreitet, dass es in Essen eine Raser-Szene gebe. „Es gibt eine Poser-Szene“, sagt Polizeidirektor Wolfgang Packmohr, Chef der Verkehrsdirektion. Die 18- bis 24-Jährigen, oft arabischer oder osteuropäischer Herkunft, stellten sich gern mit aufgemotzten PS-Boliden zur Schau.

Zeugen des Unfalls vom Samstag melden sich bei der Essener Polizei unter der Telefonnummer 0201- 82 90.