Essen. . Eine Essener Kita bedient sich bei der Gebärdensprache. Die ungewöhnliche Methode hilft gerade Kindern aus Migrantenfamilien beim Spracherwerb.

Sie haben zwölf verschiedene Nationalitäten, sprechen zu Hause nicht Deutsch, sondern beispielsweise Türkisch oder Arabisch. Jetzt lernen die 59 Jungen und Mädchen in ihrer Kita an der Bocholder Flözstraße noch dazu Gebärdensprache. Nein, das führe nicht zu Verwirrung oder gar Verstummen, sondern helfe beim Spracherwerb, sagt Kita-Leiterin Isabella Schlehuber.

Denn die Gebärden für Sonne, Spiel oder Guten Morgen begleiten nur die gesprochene Sprache. „Es ist eine visuelle Unterstützung; und wir verwenden nur eine Gebärde pro Satz.“ Sie hebt das Wort hervor, hilft den Kindern, sich die Vokabel zu merken. Auch habe manches Kind weniger Scheu, sich per Gebärde zu äußern als zu sprechen, ergänzt Erzieherin Rebecca Prüfer. Das gelte für sogenannte späte Sprecher wie für Flüchtlingskinder, die oft verschüchtert seien und sich schon mal genierten zu sagen, dass sie zur Toilette müssen. „Bloß wenn sie nichts sagen, geht das ja schon mal schief.“ Umso besser, dass viele den Klogang nun mit passender Gebärde ankündigen.

Das gesprochene Wort wird von den Händen begleitet

So hilfreich das ist, so sehr plagte einige Eltern anfangs die Sorge, ihre Kinder würden das Sprechen einstellen, wenn sie sich mit den Händen verständigen können. Doch beim „lautsprachunterstützenden Gebärden“, das Schlehuber und ihr Team seit Ende 2017 in Fortbildungen erlernt haben, spielt die Sprache keine Nebenrolle. Im Gegenteil: Wer „gebärde“, spreche langsamer, deutlicher, kindgerechter.

Wie das geht, kann man beobachten, wenn die Kinder im Kreis zusammensitzen und die kleine Amira erzählt, was sie schon unternommen haben oder für den Tag planen: Begrüßung, Frühstück, Morgenkreis, Spielen, ‘rausgehen – all das unterstreicht sie mit den Händen. Manches erschließt sich auch dem Laien: So wird für Milch eine Melkbewegung gemacht.

Gebärden ist eine Sprache mit verbindlichem Vokabular

„Das sind aber nicht bloß anschauliche Bewegungen oder Gesten“, betont Rebecca Prüfer. Gebärden sei eine Sprache mit verbindlichem Vokabular. „Denn wir vermitteln hier Grundbegriffe der deutschen Gebärdensprache“, erklärt Erzieher Stefan Jähne, der als geschulte Fachkraft die städtische Sprach-Kita an der Flözstraße betreut. In diesen vom Bund geförderten Kitas wird sprachliche Bildung groß geschrieben: nicht verschult, sondern locker in den Alltag eingebaut. Davon profitieren besonders Kinder aus Migrantenfamilien.

„Wir lassen zu, dass die Kinder in ihrer Muttersprache miteinander sprechen“, sagt Rebecca Prüfer. „Aber die gemeinsame Sprache ist Deutsch“, ergänzt ihre Chefin. Das sei auch Wunsch der Eltern, die sehr auf die sprachliche Förderung ihrer Kinder achteten. Wie die Gebärden dabei helfen, zeigen auch kurze Filme, die in der Kita entstanden sind: Da sehen sich zum Beispiel zwei Kinder ein Buch an, reden miteinander und machen beiläufig die Gebärde für Fische.

Noch kein Mädchen kam mit Kopftuch in die Kita

Dank einer erklärenden Website haben auch einige Eltern Gebärden gelernt. Gerade diejenigen, die selbst noch wenig Deutsch sprechen, nutzen sie gern. Ohnehin brächten sich die Eltern gern ein, sagt Isabella Schlehuber: Auch die Väter, die mal in den Baumarkt gingen oder beim Bepflanzen des Geländes anpackten. „Für manche Eltern ist die Kita die erste Möglichkeit zur Teilhabe an der deutschen Gesellschaft.“ Umgekehrt binde sie alle Religionen und Kulturen ein, etwa indem neben christlichen auch andere Feste gefeiert werden.

Debatten wie die um Kopftuch-tragende Vorschulkinder habe sie noch nicht führen müssen, sagt die Kita-Leiterin. „Aber wenn ein Mädchen mit Kopftuch käme, würde ich den Eltern etwas dazu sagen.“

>>> BUNDESPROJEKT SPRACH-KITAS

Seit 2016 gibt es das Bundesprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“. Kitas, die von vielen Kindern mit Migrationshintergrund besucht werden, erhalten eine zusätzliche Fachkraft für die „alltagsintegrierte sprachliche Bildung“. Bundesweit werden so bis 2020 gut 7000 halbe Stellen und die fachliche Beratung der Kitas finanziert.

81 der gut 260 Essener Kitas sind inzwischen Sprach-Kitas