Essen. . In 15 städtischen Sprach-Kitas in Essen gehört Vorlesen zum Alltag – nicht nur auf Deutsch. An der Stapenhorststraße sind Kinder aus 22 Ländern.

In der Turnhalle der Kita an der Stapenhorststraße in Essen herrscht gespannte Stille: Aicha El-Founti liest mit ruhiger Stimme vor, die Kinder lauschen konzentriert. Dabei verstehen die meisten von ihnen kein Wort – Aicha El-Founti liest auf Arabisch. Willkommen in einer von 15 städtischen Sprach-Kitas.

Die Altenessener Kita ist klein, die Vielfalt groß: 46 Jungen und Mädchen aus 22 Ländern besuchen die Einrichtung, viele von ihnen sprechen zu Hause kein Deutsch sondern Arabisch, Türkisch, Twi oder Serbisch. Das muss kein Nachteil sein, betont Erzieher Stefan Jähne, der als geschulte Fachkraft zwei Sprach-Kitas betreut. „Das sichere Beherrschen der Muttersprache erleichtert das Erlernen einer zweiten Sprache.“

Sprach-Kitas setzen auf „alltagsintegrierte Sprachbildung“

Allerdings ist das Deutschlernen kein Automatismus; bekanntlich fallen bei den Einschulungs-Untersuchungen Jahr für Jahr viele Kinder mit sprachlichen Defiziten auf. Seit langem bemüht man sich, schon im Vorschulalter gegenzusteuern.

Doch frühere Programme mit festen Lerngruppen haben die Kita-Kinder oft nicht erreicht – zu verschult. Daher setzen die vom Bundesfamilienministerium geförderten Sprach-Kitas auf eine „alltagsintegrierte Sprachbildung“, gelernt wird beiläufig im Kita-Alltag.

Gelernt werden soll zwar beiläufig, aber nicht beliebig

Beim Essen könne die schlichte Frage „Was haben wir auf dem Teller?“ ein Gespräch in Gang setzen, das mit der Paprika beginnt und mit Yu-Gi-Oh endet – vom Gemüse bis zu japanischen Manga-Sammelkarten.

Aber gibt es solchen Austausch nicht ohnehin in allen Kitas? Kerstin Schick vom Jugendamt, die die städtischen Sprach-Kitas betreut, bestreitet das nicht. „Vieles machen die Erzieherinnen längst richtig. Herr Jähne ist eine zusätzliche Ressource für das Team und hilft, den Alltag bewusster zu begleiten.“

Gelernt werden soll zwar beiläufig, aber nicht beliebig. Da gibt es ein Spiel, bei dem die Kinder eine Katze suchen, sich fragen, ob sie hinter dem Schrank steckt oder unter dem Tisch. Sie suchen die Katze und finden Präpositionen: auf, unter, an, über ...

Nicht immer hat das mit der Herkunft zu tun

Stefan Jähne bietet den Erzieherinnen auch Fortbildungen an, damit sie den Sprachstand der Kinder besser einschätzen können. „Auch Eltern kommen jetzt auf mich zu und wollen zum Beispiel wissen, warum ihre Tochter noch nicht spricht.“ Nicht immer hat das mit der Herkunft zu tun, manche Kinder haben einfach Hörprobleme.

Wichtig sei, dass alle Eltern einbezogen werden, dass sie den Kindern auch zu Hause vorlesen. In der Kita macht das Jähne täglich.

Deutsch sei die Sprache für alle

Auf Türkisch oder Twi lesen, kann Jähne nicht. Hier kommen Mütter wie Aicha El-Founti ins Spiel, die am Tag des Lesens im April erstmals Arabisch vorlas. Diesmal hat sie „Mein neuer Freund, der Mond“ dabei – aus dem Bestand der Stadtbibliothek. Als sie das Buch zuklappt, fragt Jähne die Kinder, wer die Geschichte verstanden habe. Spontan melden sich auch zwei deutsche Mädchen. Mag sein, dass ihnen die Bilder, die Aicha El-Founti, herumgezeigt hat, genug verraten haben.

Aber Stefan Jähne liest die Geschichte ohnehin auch auf Deutsch vor, und nun stellen die Kinder Fragen, diskutieren lebhaft über den Mond. In beiden Kitas, die er betreue, sei Deutsch die Sprache für alle: „Fast nie sprechen die Kinder in ihren Muttersprachen miteinander.“

Freilich gehört zum Konzept der Sprach-Kitas, dass Herkunft, Kultur und Vielfalt der Kinder einbezogen werden. Etwa, indem fremdsprachige Eltern vorlesen. Aicha El-Founti hat sich dafür gern gewinnen lassen: Als sie selbst mit acht Jahren aus Marokko nach Deutschland kam, hatte sie in der Schule einen schweren Start. Ihre jüngste Tochter wird es bei der Einschulung nach den Ferien gewiss leichter haben: „Sie hat Herrn Jähne besser verstanden als mich.“

>> Deutsch lernen beim gemeinsamen Essen, Spielen, Entdecken und Erzählen

  • Die Sprach-Kitas sind ein auf vier Jahre angelegtes Bundesprojekt. Es basiert auf der Erfahrung, dass Kinder von sprachlicher Bildung besonders profitieren, wenn sie früh beginnt. Sprach- Kitas haben eine zusätzliche Fachkraft.
  • Während die Kinder bei früheren Programmen gezielt in Kleingruppen geübt haben, ist man von diesem eher verschulten Ansatz abgekommen: Kleinkinder lernen besser durch „alltagsintegrierte sprachliche Bildung“; also beim gemeinsamen Essen, Spielen, Entdecken, Erzählen. Eine große Rolle spielt in Sprach-Kitas das Vorlesen. Eltern werden ermuntert, auch zu Hause vorzulesen.
  • Die Sprach-Kitas starteten Anfang 2016. Für das Projekt konnten sich Kitas bewerben, die von vielen Kindern mit Migrationshintergrund besucht werden. In Essen gibt es 37 Sprach-Kitas, 15 von ihnen sind in städtischer Trägerschaft. Die Arbeit der Sprach-Kitas wird von zwei Universitäten wissenschaftlich begleitet.