Essen. Erneut rücken die Behörden dem Essener Clan-Milieu mit einer Großrazzia auf die Pelle. Die Reaktion schwankt zwischen Ärger und Lässigkeit.
Jamal Rammo ist sauer, richtig stinksauer. „Was für einen Clan sucht ihr hier?“, brüllt er die Polizisten auf der Kastanienallee an, die am Samstagabend die Shisha-Bar „Chocolate“ durchsuchen. „Al Capone ist nicht hier, da müsst ihr nach Chicago“, spottet Rammo, nicht ohne zu betonen, dass er die Beamten, die ihm hier so übel mitspielen würden, mit seinen Steuern bezahle. Der tobende Mann, der nur mühsam zu beruhigen ist und sich als Vater des Barbesitzers vorstellt, wirkt exakt so, wie man sich einen türkisch-libanesischen Clan-Chef in der nördlichen Innenstadt vorstellt. Aber die gibt es hier ja angeblich nicht.
Polizei, Zoll und Stadt Essen sehen das offenkundig etwas anders. Nach der ersten Großrazzia am 13. April, soll der Druck aufrecht erhalten bleiben, und zwar nicht irgendwann, sondern ganz bewusst schon gut zwei Wochen später. Demonstrativ will die Essener Polizei zeigen, dass sie es ist, die in der Nord-City das Sagen hat, und nicht die Clans. „Wir kommen und gehen hier, wann immer wir wollen“, sagt Polizei-Pressesprecher Marco Ueberbach grimmig. No-Go-Areas gibt es nicht in Essen, soll das übersetzt heißen. Jedenfalls nicht für die Polizei.
Demonstratives Ignorieren der kontrollierenden Polizisten
Auch diesmal scheint die Überraschung zu gelingen, als die Behörden mit rund 100 Beamten um Punkt 21 Uhr den Verkehrskreisel unweit der Kreuzeskirche mit ihren Fahrzeugen lahmlegen und als erstes im „Chocolate“ nach dem Rechten sehen. Aufgeregt wie ein Hühnerhaufen wirkt allerdings nur das Personal, die Gäste drinnen und draußen ziehen betont lässig weiter an ihren Wasserpfeifen und lassen sich auch in ihren Gesprächen nicht stören. Mancher ignoriert die Polizisten sogar dann noch demonstrativ gelangweilt, als diese schon dabei sind, seine Personalien aufzunehmen.
Auch interessant
Einige Zeit später wird ein Beamter vor einem Kiosk an der Ecke Rottstraße/Kronenstraße mit einem spöttischen „Da ist ja mein Lieblingspolizist“ begrüßt, und man versteht plötzlich einiges besser. Mag ja sein, dass diese Ecke der Stadt (noch) keine No-Go-Area ist, aber die offen zur Schau getragene Respektlosigkeit gegenüber Ordnungshütern scheint doch ziemlich weit fortgeschritten zu sein. Darüber klagen die Beamten vor allem bei den täglichen Einsätzen, fühlen sich provoziert, mitunter auch körperlich bedrängt.
Fast 500 Personen, 150 Fahrzeuge und 21 Bars, Cafés und Kioske werden bis in die Nacht ins Visier genommen und kontrolliert. Die Polizei vollstreckt drei Haftbefehle – zwei Männer gehen in Abschiebehaft. Außerdem kassiert die Polizei 123 Mal Verwarngeld und stellt 17 Ordnungswidrigkeiten fest. 25 Mal gibt es den begründeten Verdacht auf Sozialbetrug, zweimal wird Steuerhehlerei vermutet.
Die Zollfahnder stellen in sechs Shisha-Bars rund 33 Kilogramm Wasserpfeifentabak sicher, den Steuerschaden schätzen sie auf rund 1150 Euro. Als Beifang gibt es noch einen alkoholisierten Autofahrer. Das klingt zunächst nicht allzu aufregend. Hat Jamal Rammo am Ende recht, wenn er klagt, dass mit den massiven Razzien nur Existenzen vernichtet und harmlose, steuerzahlende Bürger belästigt werden?
Eindämmen von Gewaltbereitschaft durch Präsenz
Die Polizei hält dieses Idylle-Gemälde eines Betroffenen für nicht realitätsnah. Zum einen würden durch die Razzien immer wieder relevante Gesetzesverstöße aufgedeckt – so auch diesmal. Zum anderen gehe es aber eben auch um das Einfordern von Respekt, das Setzen von Grenzen, das Eindämmen von Gewaltbereitschaft und um polizeipolitische Pädagogik. „Durch die Kontrolle mit starken Kräften wollen wir eine Parallelgesellschaft verhindern und den übrigen Bewohnern der Innenstadt ein Sicherheitsgefühl geben“, sagt Polizeisprecherin Judith Herold. Unsicherer fühlen sollen sich hingegen die Clan-Mitglieder. Ob das wirklich gelingt, bleibt abzuwarten.
Razzia gegen Clans im Essener Nordviertel