Essen. . Jan Neumann zeigt „Der Fall der Götter“. Für das Stück über  den Zerfall einer Industriellenfamilie stand bei Visconti die Krupp-Dynastie Pate.

Wer zu diesem Stück Vergangenheitsbezüge sucht, muss sich nicht lange umsehen. Beim Gespräch im Grillo-Theater fällt der Blick gleich auf das von Hakenkreuzen umstellte Schauspielhaus in den 1930er Jahren. Eines von vielen Fotos, das zur Ausstellung über 125 Jahre Essener Theatergeschichte gehört. Im Jubiläumsjahr macht sich Jan Neumann nun daran, ein Stück zu inszenieren, das mit der Stadt auf gewissen Weise eng verbunden ist, aber noch nie hier gezeigt wurde. „Der Fall der Götter“ hat am Samstag im Grillo-Theater Premiere.

Der unbedingte Wille zur Macht

Grundlage ist Luchino Viscontis Film „Die Verdammten“, der 1969 herauskam und in opulenten Bildern den selbstzerstörerischen Zerfall einer deutschen Industriellenfamilie zu Zeiten des Nationalsozialismus schildert. Dass Viscontis cineastisches Meisterwerk über Faschismus und Dekadenz in die hochherrschaftlichen Hallen der Familie von Essenbeck führt, aber eigentlich die Essener Krupp-Dynastie und ihr Stahlimperium meint, war damals schnell heraus.

Und doch ist „Der Fall der Götter“ für Jan Neumann nicht nur ein Stück über Krupp und die Nazizeit. „Wir sind bei der Arbeit schnell darauf gekommen, dass man das nicht eins zu eins übertragen kann. Das würde Krupp auch nicht gerecht.“ Für den 43-Jährigen haben sich Shakespeares Königsdramen und die Dämonen Dostojewskis genauso tief in Viscontis Vorlage von archaischer Wucht eingeschrieben. „Es geht darum, dass Menschen, die alles haben, sich zerfleischen aus dem unbedingten Willen zur Macht. Da ist der Stoff modern, weil es um die unbedingte Egozentrik, das Ichichich geht. Es wird über Leichen gegangen und das nicht zu knapp. Das ist das Thema und damit ist es zeitlos“, erklärt Neumann.

Es geht um Intrigen, Inzest, Eifersucht und Missbrauch

In der Tat berührt Viscontis Vorlage etliche Tabus: Intrigen, Inzest, Eifersucht, Machtwahn, Missbrauch, Mutterschändung: „Man erschrickt anfangs beim Machen“, erzählt Neumann, der der Monstrosität „frisch und radikal“ und mit spielerischer Wucht begegnen will. „Der Abend muss in irgendeiner Weise weh tun!“

Neumann, der als Schauspieler begonnen hat und heute als Regisseur und Erfolgsdramatiker mit Stückentwicklungen von Berlin bis Bochum gefragt ist, will dem Abend aber auch in seiner Sinnlichkeit, der verschwenderischen Optik und melodramatischen Opernhaftigkeit, die Visconti einst vorgelegt hat, gerecht werden. „Der Stoff ist unglaublich theatral“, sagt Neumann, „wir arbeiten mit einer starken visuellen Ebene.“ Eine Drehbühne sorgt dafür, dass aus den schnellen Filmschnitten permanente Szenenwechsel werden.

Was Neumann nicht will, ist eine Pseudohistorisierung auf der Bühne. Er wolle keine „Verguidoknoppisierung“, kein „so tun, als wisse man, wie’s gewesen ist“. Die Analogie zwischen Vergangenheit und Gegenwart soll vielmehr sichtbar werden, und zwar „ohne Zwangsaktualisierung“ und „ohne dass permanent AfD-Monologe gehalten werden“. Neumann, der Exil-Münchner, Wahlberliner, Schnellsprecher und Scharf-Denker, gilt nicht als Freund des Regietheaters, sondern als Verfechter des Schauspielertheaters. Vieles, was auf der Bühne passiert, entwickelt er während der Probenzeit zusammen mit den Schauspielern.

Informationen zur Essener Inszenierung

„Der Fall der Götter“ hat am Samstag, 21. April, 19.30 Uhr, im Grillo-Theater Premiere. Weitere Termine: 26. April, 5., 6., 11. und 30. Mai, 13./16. Juni.

Tickets telefonisch unter 8122-200 und online tickets@theater-essen.de

Für das Bühnenbild zeichnet Cary Gayler verantwortlich. die Kostüme hat Nini von Selzam entworfen. Die Musik kommt von Thomas Osterhoff.

Zur Vorbereitung hat das ganze Ensemble eine Führung durch die Villa Hügel bekommen, um ein Gefühl für den Stoff und die Aura dieses besonderen Ortes zu bekommen. „Die Villa Hügel gehört für mich neben Prora auf Rügen und Neuschwanstein zu den Orten, wo ich das Gefühl habe, ich lerne emotional etwas über das Land.“ Mit einer Historikerin der Uni Essen-Duisburg hat man sich zudem ausführlich mit dem Begriff und der Entwicklung des Nationalsozialismus auseinandergesetzt.

Am Ende aber wird es vermutlich gar keine Hakenkreuze auf der Bühne geben. Dafür sorgt das Bühnenbild für eine andere Art der Überwältigungsästhetik: Massive Stahlblöcke, die zum einen auf das Kruppmaterial hinweisen, aber auch an das Holocaust-Mahnmal in Berlin erinnern. Schließlich sei das ja der eigentliche Anlass, das Stück zu erzählen, findet Jan Neumann, „weil man wieder mahnen muss“. Diese Mahnung will der Regisseur mit aller Wucht auf die Bühne bringen. Aber auch mit der Hoffnung koppeln, „dass wir heute stark sind“.