Essen. . In den vier Lernhäusern des Essener Kinderschutzbundes wird Kindern nicht nur bei den Hausaufgaben geholfen. Ein ehemaliger Besucher erzählt.
Erst wollte er nicht hin – und dann nie mehr weg: Kurusanth Pararajasekaram besuchte die erste Klasse, als seine Mutter ihm vorschlug, nachmittags ins Lernhaus in der Innenstadt zu gehen. Der Kinderschutzbund bietet dort Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung und Sprachförderung an. Für Kurusanths Mutter, die aus Sri Lanka stammt und damals kaum Deutsch sprach, klang das nach dem perfekten Angebot für ihr Kind. Für Kurusanth klang es nach „nochmal Schule nach der Schule“. Er blieb dann bis zum Abi. Heute studiert der 20-Jährige Wirtschaftsingenieurwesen und ist einer von drei Bildungsbotschaftern für die insgesamt vier Essener Lernhäuser.
Die Eltern konnten bei den Hausaufgaben nicht helfen
Sprich: Er arbeitet ehrenamtlich im Lernhaus und wirbt für die Einrichtung – aus Überzeugung. „Es war nämlich gar nicht wie Schule oder Nachhilfe. Die Atmosphäre war sehr familiär, ich bin so positiv aufgenommen worden! Es gab dort eben auch die anderen Kinder, die Turnhalle, Ausflüge, Spaß: Belohnung für das Lernen.“ Lernen, wie man lernt – das ist ein Ziel der Einrichtung, die sich vor allem an Kinder aus sozial benachteiligten oder bildungsfernen Familien wendet.
„Meine Eltern hatten in Sri Lanka Ausbildung und Studium abgeschlossen, aber hier hatten sie ein Sprachproblem. Darum konnten sie meiner älteren Schwester irgendwann nicht mehr bei den Aufgaben helfen.“ Weil sich die Eltern, die vor dem Bürgerkrieg geflohen waren, hier vor allem im tamilischen Freundeskreis bewegten, wussten sie nicht, wen sie um Hilfe bitten konnten. Das Lernhaus war die Lösung – auch Kurusanths kleiner Bruder wurde zum Besucher.
Die Mitarbeiter merken, wenn es zu Hause Stress gibt
Seine Schwester habe auch ohne Lernhaus ein Spitzen-Abi gemacht und studiere heute Medizin. Für ihn sei die Zeit dort wichtig gewesen, auch weil ihn Mitarbeiter und Ehrenamtliche so gut kannten. Als seine Noten mal schlechter wurden, hätten sie gefragt, wie das komme. „Man erzählt das, weil da großes Vertrauen ist – andernorts hätte ich mich nicht so geöffnet.“ Durch seine Schwester sei damals der Erwartungsdruck hoch gewesen. Dass er nicht aufgegeben habe, sei auch dem Lernhaus-Team zu verdanken: So machte er 2017 am Gymnasium Nord-Ost auch ein sehr gutes Abi.
Bei Nachhilfe gehe es darum, in kurzer Zeit viel Stoff zu vermitteln: „Das Lernhaus aber ist ein Langzeitprozess. Die Kleinen kommen pro Woche 15 Stunden, die Älteren zwölf. Da geht es auch um Persönlichkeit, da fällt auf, wenn’s zu Hause Stress oder Streit gibt.“ Es drehe sich nicht alles um Noten, sondern auch darum: „Welche Richtung soll mein Leben nehmen?“
Den Kindern fehlen in ihrem Umfeld positive Vorbilder
In seinem Fall heißt das, dass er nun einer der 50 Ehrenamtlichen ist, die den Fachkräften in den Lernhäusern helfen. Er macht ein Musikprojekt – und ist nebenbei Vorbild. „Viele Kinder erleben, dass es keiner in ihrem Umfeld schafft mit Schule und Job; da verliert man sein Selbstbewusstsein. Ich zeige, dass es klappen kann. Wenn sie fragen: ,Bist Du ein Supergenie?’, sage ich: ,Nein, das ist harte Arbeit.’“
Und dazu wolle man die Kinder ermutigen, sagt Lernhaus-Leiter Martin Hollinger: „Alle Studien zeigen, wie wichtig es ist, dass sie Abschlüsse bekommen – wir arbeiten darauf hin.“ Allein 2017 habe man 27 Schülern zum Schulabschluss verhelfen können. Dazu gehöre, dass man Alltagsstruktur biete, Sozialverhalten vorlebe, in den Ferien da sei und dranbleibe, wenn die Jugendlichen in der Pubertät abtauchen. In 15 Jahren Lernhaus sei man auch mal an Grenzen geraten, sagt Hollinger. „Aber meistens bekommen wir ganz viel zurück!“
>>> Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung hilft
Die Lernhäuser des Kinderschutzbundes Essen wollen Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten oder bildungsfernen Familien eine erfolgreiche Schul- und Bildungslaufbahn ermöglichen. Derzeit besuchen 213 Mädchen und Jungen die Standorte Altenessen, Katernberg, Innenstadt und Borbeck. Sie erhalten Sprachförderung, Hausaufgabenbetreuung, Mittagessen und Freizeitangebote.
Durch den Zuwachs an Kindern mit Fluchterfahrung (44 Prozent der Besucher) hat sich der Aufwand erhöht und kann nicht allein durch Eigenmittel des Fördervereins Kinderschutzhaus Essen e.V. gedeckt werden. Darum bietet der Kinderschutzbund nun „Lernpatenschaften“ an: Für ein Kind oder Jugendlichen beträgt diese 30 Euro im Monat, also 360 Euro im Jahr. Die Patenschaften sind auf drei Jahre angelegt und werden nicht namentlich zugeordnet; sie sollen eine kontinuierliche Arbeit der Lernhäuser ermöglichen.
„Wir freuen uns sehr, dass die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung die Lernhäuser jetzt großzügig unterstützt“, sagt Barbara Gierull, die beim Essener Kinderschutzbund das Ressort Spenden leitet. Zu ihrem 50. Geburtstag spende die Stiftung dieses Jahr 50 000 Euro. Damit werden 25 Lernpatenschaften für fünf Jahre finanziert (45 000 Euro); mit 5000 Euro wird ein Musikraum im Lernhaus Innenstadt eingerichtet.
Im Januar 1968, ein halbes Jahr nach dem Tod des Stifters Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, trat das Stiftungskuratorium unter Berthold Beitz zur konstituierenden Sitzung zusammen, um den Stifterauftrag in die Praxis umzusetzen. Seither hat die Stiftung über 5300 Projekte in den Bereichen Wissenschaft, Bildung, Erziehung, Gesundheit und Sport sowie Kultur gefördert – mehr als 665 Millionen Euro wurden bewilligt. Zum Auftakt des Jubiläumsjahres fördere man nun die Lernpatenschaften, mit denen die Stiftung „ihre besondere Verbindung mit dem Standort Essen zum Ausdruck bringen kann“, sagt Ursula Gather, Vorsitzende des Kuratoriums. Der Kinderschutzbund könne so die ganzheitliche Lernförderung ausbauen, Anschaffungen für Projekte tätigen, Ausflüge und Mittagessen finanzieren. So zeige sich hier wie an vielen Orten der Essener Bildungslandschaft das Wirken der Stiftung.
>>> Kinderschutzbund Essen besteht seit 50 Jahren
Der Essener Ortsverband des Deutschen Kinderschutzbundes wurde 1968 gegründet, um den Kinderschutz voranzutreiben sowie Hilfen für Kinder, Jugendliche und Familien anzubieten.
Er ist einer der größten Ortsverbände bundesweit mit über 300 Mitarbeitern, 600 Mitgliedern, 400 Ehrenamtlichen und über 20 Einrichtungen in der Stadt: z.B. Kitas, Familienzentren, Lernhäuser, Kindernotaufnahmen wie das Spatzennest.