Ruhrgebiet. . Die Entscheidung der Essener Tafel, nur noch Menschen mit deutschem Pass zu versorgen, ist in anderen Städten auf Unverständnis gestoßen.

Jörg Sartor hat sich schon gewundert. Da nimmt die Essener Tafel, die Bedürftige mit Essen versorgt, seit gut vier Wochen nur noch Menschen mit deutschem Pass als Neukunden auf, und niemand regt sich auf. „Es gab noch keinen Krach, noch kein Theater“, hat der Tafel-Vorsitzende gesagt. Das hat sich geändert. Seit einem Bericht dieser Zeitung über die neuen Regeln hagelt es Unverständnis, teilweise sogar Kritik.

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„Was hier los war, heute Morgen.“ Die Mitarbeiterin der Essener Tafel kann auch am frühen Nachmittag den Trubel noch nicht fassen. Ständig habe das Telefon geklingelt, und auch Kamerateams hätten vor der Tür gestanden – alle auf der Suche nach Sartor, der nach eigener Aussage ja nichts gegen Ausländer hat, aber in nächster Zeit vorübergehend keine mehr aufnehmen will in die Kundenkartei der Essener Tafel. Weil ihr Anteil an den derzeit 6000 von der Tafel versorgten bedürftigen Menschen mittlerweile bei 75 Prozent liege und sich deutsche Senioren deshalb nicht mehr zur Essensausgabe trauen würden. Denn da gelte das Recht des Stärkeren, da werde geschubst und gedrängelt. Aber, so Sartor, „wir wollen, dass auch die deutsche Oma weiter zu uns kommt“.

"Natürlich haben wir ähnliche Probleme"

Das wollen sie bei allen Tafeln im Ruhrgebiet, dennoch gibt es offenbar in keiner anderen Stadt Pläne, dem Essener Beispiel zu folgen. „Natürlich haben wir ähnliche Probleme“, sagt Ansgar Wortmann von der Betriebsleitung der Dortmunder Tafel, die 11 000 Menschen versorgt. „Aber wir lösen sie anders.“ Falle jemand auf, gebe es eine „klare Ansage“. Außerdem versuche man den Andrang durch verlängerte Öffnungszeiten und mehr freiwillige Helfer mit Migrationshintergrund zu entzerren. „Das funktioniert ganz gut.“ Eine Warteliste gibt es in Dortmund zwar immer noch. „Aber die ist viel kürzer geworden, und da kommt erst einmal jeder drauf.“

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Auch bei der Bochumer und Wattenscheider Tafel will man nicht aussortieren. „Für uns ist erst einmal jeder Mensch gleich“, sagt der Vorstandsvorsitzende Manfred Baasner. Bei Flüchtlingen sei allerdings die fremde Sprache eine besondere Herausforderung. In Bochum versucht die Tafel deshalb immer, genügend Dolmetscher vor Ort zu haben. Und sie bietet ihnen Sprachkurse und Jobs an. „Einige“, räumt Baasner ein, „erreicht man trotzdem nicht. Denen sagen wir, dass sie nicht mehr zur Tafel kommen sollen.“ Manches Problem aber lasse sich auch ganz einfach lösen. Zum Beispiel, indem die Rentner morgens, Flüchtlinge dann erst am Nachmittag versorgt werden.

„Man muss versuchen, insgesamt ein vernünftiges Klima zu schaffen“

An der Duisburger Tafel, die „ähnliche Probleme wie Essen“ hat, erweitern sie die Zahl der Ausgabestationen und setzen ansonsten auch auf gezielte Ansprache. „Zur Not auch mit Händen und Füßen“, sagt Geschäftsführer Günter Spikofski, denn: „Man muss versuchen, ein vernünftiges Klima zu schaffen unter den Besuchern der Tafel.“ Zwischen Nationalitäten zu unterscheiden, hält er für ein „fatales Signal“, denn: „Es gibt schwierige Deutsche und Nicht-Deutsche.“

In Gladbeck und Gelsenkirchen heißt das Motto ebenfalls: „Bedürftigkeit geht vor Nationalität“. „Es darf keinen Unterschied machen, wo ein Mensch herkommt“, sagt Dietmar Tervooren, Vorsitzender der Gladbecker Tafel. Und Hartwig Szymiczek, Geschäftsführer der Tafel in Gelsenkirchen kann die Entscheidung der Essener Kollegen „nicht gutheißen“. Er will stattdessen bei Konflikten „gezielt eingreifen“.

Für die Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“ ein guter Ansatz. „Es wäre angebrachter, gezielt diejenigen auszuschließen, die Probleme bereiten“, sagt Inka Jatta, Mitglied der Geschäftsführung von Pro Asyl Essen. In einem Punkt allerdings ist sie mit allen Tafeln einig. „Die Arbeit vor Ort“, heißt es übereinstimmend bei nahezu allen Betreibern, „wird immer schwieriger.“ Die stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes der Tafeln in NRW, Claudia Manousek, zeigte Verständnis für den Schritt der Essener Tafel. „Der Andrang ist in den vergangenen Monaten einfach zu groß geworden.“

Informationen zur Essener Tafel

Wie viele Menschen erreicht die Essener Tafel?

In 13 Verteilstellen gehen die Lebensmittel jede Woche an rund 6000 Menschen. Die Tafel beliefert darüber hinaus nach eigenen Angaben knapp 110 soziale und karitative Einrichtungen wie Mittagstische in sozialen Brennpunkten oder Anlaufstellen für Obdachlose mit weiteren rund 10 000 Menschen. Bundesweit verteilen die Tafeln die Lebensmittel regelmäßig an bis zu 1,5 Millionen Bedürftige.

Wer macht die Arbeit?

In Essen sind es 120 ehrenamtliche Helfer, die Lebensmittel sammeln, sortieren und verteilen. Die Waren werden von Lebensmittelmärkten, Produzenten, Großhändlern und Bäckereien gespendet. Mit sechs Kühlfahrzeugen sammeln die Ehrenamtlichen die Waren ein und bringen sie zu den Ausgabestellen.

Wer darf zur Essener Tafel gehen?

Jeder, der seine Bedürftigkeit nachweisen kann: Empfänger müssen Hartz IV, Grundsicherung oder Wohngeld beziehen. In Essen erhalten die Kunden nach erfolgreicher Anmeldung eine Kundenkarte und eine feste Abholzeit einmal in der Woche. Bei der Anmeldung muss sich der Kunde entscheiden, an welcher der Verteilstellen er die Lebensmittel erhalten möchte. Jeder Erwachsene muss pro Ausgabe einen Euro Schutzgebühr bezahlen. Wer seinen Termin nicht einhalten kann, muss sich telefonisch abmelden. Wer das drei Mal versäumt, verliert die Berechtigung. (dpa)

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Update: Nach Krisensitzung am Dienstag: Der Aufnahmestopp für Ausländer bei der Essener Tafel bleibt vorerst bestehen. Nun soll ein Runder Tisch einberufen werden. Mehr Informationen dazu finden Sie hier.