Essen. . Am Projekt „Pick up“ der Suchthilfe Direkt haben in gut drei Jahren 89 Drogenabhängige teilgenommen. Die Betreuer ziehen ein positives Fazit.

Jörg Lantermann aus Katernberg ist 50 Jahre alt. „Seit meinem 15. Lebensjahr bin ich drauf: Haschisch, Heroin, Kokain, Pillen – alles war dabei“, sagt der gelernte Maler und Lackierer. Seine Freiheitsstrafen für Drogendelikte addieren sich auf mittlerweile 14 Jahre Knast. Ein ständiges Leben über dem Abgrund. Doch seit gut einem Jahr verspürt der 50-Jährige allmählich festen Boden unter den Füßen, im Projekt „Pick-up“ der Essener Suchthilfe fegt er in der Innenstadt Straßen und Plätze. „Pick-up gefällt mir, ich verdiene etwas Geld und gewinne neuen Mut.“

Gut drei Jahre nach Projektbeginn hat die „Suchthilfe Direkt“ 89 Männer und Frauen betreut. „Das Projekt ist ein Erfolg“, resümiert Arbeitsanleiterin Tanja Winkelmann, die Pick-up zusammen mit ihrem Kollegen Olaf Stöhr aufgebaut hat. Wer glaubt, Pick-up könne gestrauchelte Männer und Frauen auf Anhieb fitmachen für den ersten Arbeitsmarkt, liege gründlich daneben. „Es ist ein niederschwelliges Angebot, das den Teilnehmern eine Tagesstruktur geben und sie ans Hilfesystem anbinden soll.“

„Mit 18 Cannabis, mit 23 Heroin, danach ging’s ständig bergab“

Jörg Lantermann fühlt sich wohl damit, wieder einen halbwegs geordneten Tagesablauf gewonnen zu haben: „Du kommst von der Straße und nicht mehr auf dumme Gedanken.“ Auch sein Kollege Jörg Kaspers (47) kämpft gegen die Drogensucht, schon seit jeher quält ihn eine psychisch Erkrankung. „Mit 17 habe ich angefangen zu trinken, mit 18 Cannabis geraucht und mit 23 Heroin, danach ging’s ständig bergab.“ Mit den Drogen habe er vor einem Jahr aufgehört, geblieben sei der Alkohol. Vor zweieinhalb Jahren hat er zum ersten Mal für Pick-up zu Straßenbesen und Kehrblech gegriffen. „Du hängst nicht mehr so viel rum und verdienst noch etwas Geld“, sagt er erleichtert.

Natürlich hätte er am liebsten einen geregelten Acht-Stunden-Tag, doch Kaspers weiß, dass er für diese „Langstrecke“ körperlich gar nicht fit ist. Zusätzlich zum Arbeitslosengeld II gibt’s für täglich vier Stunden Pick-up vier Euro Stundenlohn. Alle zwei Tage komme noch eine Ration Tabak dazu. Am meisten wärme jedoch das Schulterklopfen von Bürgern. Ein kleines Dankeschön, ein leises Lob hebt das durch ständige Niederlagen zerstörte Selbstwertgefühl. „Du hast das gute Gefühl, nicht mehr Ausgestoßener, sondern ein nützlicher Teil dieser Gesellschaft zu sein.“

Das gemeinsame Frühstück ist wie ein Ritual

Auch an diesem Dienstag haben sich nur drei von aktuell elf Teilnehmern um 10.30 Uhr in der Hoffnungstraße eingefunden. Zuerst ziehen sie sich um, dann folgt – wie ein Ritual – das gemeinsame Frühstück und um 11.15 Uhr drehen sie die erste Runde. Sie führt über den Willy-Brandt-Platz und die Kettwiger, den Hirschlandplatz und den Waldthausenpark nach einer Stunde zurück zum Startpunkt. Auf die Mittagspause folgt Runde zwei.

Und das Belohnungsbier? Als Pick-up gegründet wurde, entfaltete der Slogan „Putzen für Bier“ ein bundesweites Medieninteresse. Sogar Kamera-Teams aus Südkorea drehten in Essen. Tatsächlich habe Bier von Beginn an kaum eine Rolle gespielt. „Bier war nie der Ansporn, für Pick-up zu arbeiten“, betont Tanja Winkelmann. Mangels Durst hätten sich die Bierkästen sogar gestapelt. Ein Teilnehmer gibt an, allenfalls in der Mittagspause schon mal eine Flasche zu trinken.

Pick-up hat sich zu einem festen Angebot von Suchthilfe Direkt entwickelt. Und Nachahmer gebe es übrigens auch. „Die Kölner Feger arbeiten genauso wie wir“, sagt Tanja Winkelmann.

>>> PICK-UP IST GEMEINWOHLARBEIT

Pick-up, im Oktober 2014 gestartet, richtet sich an Drogenabhängige und Menschen, die am Drogenersatzprogramm teilnehmen. Die Gruppe besteht in der Regel aus zehn Personen.

Gemeinwohlarbeit („Ein-Euro-Job“) heißt: Pro Stunde gibt’s 1,25 Euro. Die Schicht dauert von 10.30 bis 14.30 Uhr. Vom Lohn wird ein Euro für Verpflegungskosten (Frühstück/Mittagessen) abgezogen.

Bier wird – falls gewünscht – nur in den Räumlichkeiten der Suchthilfe ausgegeben.