Essen. . Nach vier Monaten „Pick-Up“ zieht die Suchthilfe zufrieden Bilanz. Den Teilnehmern geht es nicht ums Bier, sie wollen wieder ein geregeltes Leben führen.
Monatelang haben sie leidenschaftlich darum gerungen, ob die Essener Suchthilfe dieses ungewöhnliche Projekt überhaupt starten soll: mehrfach abhängigen Menschen Besen und Kehrblech in die Hand zu drücken, sie die Innenstadt fegen zu lassen und ihnen obendrein ein paar Flaschen Bier zu geben. Jetzt geht das bundesweit einmalige Projekt in den fünften Monat. „Putzen für Bier“ klingt griffig, aber die Macher selbst nennen es „Pick-Up“.
Es ist Freitagmorgen halb elf, Schichtbeginn in der Hoffnung-straße. „Meine Motivation ist nicht das Bier“, stellt Torsten (48) mit einer abwehrenden Handbewegung von vornherein klar. „Ich mache mit, weil ich hier fünf Tage lang ein Frühstück und ein Mittagessen bekomme.“ Sein gut gefüllter Frühstücksteller unterstreicht dies: drei Brötchen und drei Eier liegen drauf, Wurst, Käse und Marmelade, dazu ein heißer Pott Kaffee.
Jeder einzelne aus dieser „Putz-Truppe“ hat einen sehr persönlichen Lebenslauf, doch viele Muster wiederholen sich: die Sucht nach Heroin, Kokain und Alkohol etwa, Beschaffungskriminalität und Knast, Jobverlust, Obdachlosigkeit und zerrüttete Familien. „Ich habe drei Jahre und neun Monate Haft hinter mir, keine Wohnung und keinen Job“, sagt Torsten, ein gelernter Gärtner aus Frohnhausen. Er hing an der Nadel und schnupfte Koks, jetzt ist er im „Programm“ und substituiert. „Ich trinke zwei Flaschen Bier am Tag.“
Bierkästen stapeln sich bis zur Decke
Das Pick-Up-Projekt ist gedacht für zehn Teilnehmer und läuft ein Jahr. Zielgruppe sind Drogenabhängige und/oder Menschen, die am Drogenersatzprogramm (Substitution) teilnehmen.
Pick-Up bietet eine Arbeitsgelegenheit und fällt in die Kategorie Gemeinwohlarbeit („Ein-Euro-Job“). Eine Schicht dauert von 10.30 bis 14.30 Uhr.
Bier soll nur in den Räumen der Suchthilfe ausgegeben werden, Substituierte bekommen gar keinen Alkohol. Bemerkenswert: Weil fast alle auf das angebotene Bier verzichten, stapeln sich die Kästen meterhoch bis zur Decke.
Zwei aus dem Team haben einen Krankenschein, zwei weitere Urlaub. Sascha (31), gelernter Dachdecker, wird gleich mit Torsten auf die Straße gehen. Auch er ist im „Programm“. „Auf dem Weg vom Arzt zur Arbeit habe ich eine halbe Flasche am Büdchen getrunken“, sagt er. „Aber hier trinke ich nicht.“
Der Huttroper hat eine feste Freundin, zwei Kinder und eine Wohnung. Den Vater kennt er nicht, die Mutter, die bei der Geburt 15 und selber noch ein Kind war, hat ihn in ein Heim gesteckt. Saschas Leben hat noch gar nicht richtig begonnen, da ist es schon ziemlich verkorkst. Er gerät auf die schiefe Bahn, wird drogensüchtig und kriminell. Seine Mutter ist letztes Jahr bei einem Unfall ums Leben gekommen. „Pick-Up soll für mich ein Sprungbrett sein“, sagt er trotzig.
Oliver Balgar, Abteilungsleiter der Suchthilfe, zieht nach vier Monaten optimistisch Zwischenbilanz. „Unsere Idee des ‘Kontrollierten Trinkens’ geht auf, niemand schlägt über die Stränge, die Leute leben endlich wieder mit Tagesstruktur.“
Von insgesamt zehn Leuten sind bis jetzt drei abgesprungen, demnächst kommen aber wieder neue hinzu. Schon einen einzigen Menschen dem Teufelskreis aus Sucht, Knast und Perspektivlosigkeit zu entreißen, darf als Erfolg gewertet werden. Und über genau einen solchen Fall berichtet Balgar voller Stolz. Die meisten hätten anfangs die Arme über dem Kopf zusammengeschlagen. „Oh Gott, der ist nach drei Tagen eh’ wieder weg“, habe es geheißen. Weil er verwahrlost war und gesundheitlich angezählt.
Drogensüchtige reinigen City
Doch längst – ein kleines Wunder – ist er dem Elend entstiegen und so gut wie abstinent, er sieht gepflegt aus und geht einem festen Job in der Holzwerkstatt nach. „Eine tolle Entwicklung“, frohlockt Balgar.
Bewaffnet mit Besen und Schaufel, Kehrblech und Müllsack ziehen Torsten und Sascha über die Hachestraße zur Fußgängerzone. Ein eisiger Wind pfeift durch die Kettwiger. Mit ihren Greifzangen sammeln sie nicht nur die Hinterlassenschaften der Trinker- und Drogenszene ein, sondern auch jede Menge Wohlstandsmüll: McDonald’s-Tüten und Tetrapaks, Scherben und Kippen. „Wir schaffen pro Woche zwei Container“, sagt Arbeitsanleiter Olaf Stöhr. Von Passanten erführen seine Leute viel Lob und aufmunterndes Schulterklopfen. Sie hören Komplimente wie „Das macht Ihr toll“ oder „Ihr geht sogar dahin, wo die EBE nicht hingeht“. Das wärmt die Herzen. Und wie reagieren die Geschäftsleute? „Von ihnen kommt ziemlich wenig.“