Essen. . Wie ein Gewaltverbrechen eine Familie zerstört und die Angehörigen zurücklässt – in Wut, Trauer und Ohnmacht. Der Bruder eines Mörders erzählt.

  • Peter F. (35) sagt: „Ich fühle mich alleingelassen“. Nach der Tat seines Bruders musste er sich um alles selbst kümmern
  • Seine Frau leidet unter Ängsten, sein Kind sei „total verändert“
  • Der Täter gilt als psychisch schwer krank und muss auf unabsehbare Zeit in die Psychiatrie

Peter F. (35) wacht regelmäßig morgens schweißgebadet auf und hat die Hände fest in die Bettdecke gekrallt. Dann hat er wieder geträumt vom 22. Mai und von dem ganzen Blut, das er in der Wohnung seiner Eltern sah. Es war der Tag, an dem sein älterer Bruder Vater und Mutter mit einem Küchenmesser tötete.

Der Bruder ist in dieser Woche vom Gericht verurteilt worden – beziehungsweise freigesprochen, denn er gilt als psychisch schwer krank. Er muss auf unabsehbare Zeit in die geschlossene Psychiatrie. Diagnose: Paranoide Schizophrenie. Die Tat, heißt es, geschah im Wahn, er habe Stimmen gehört.

Den Tatort putzte er selbst

Zurück bleibt Peter F., Industriemechaniker, verheiratet, eine Tochter (5). „Ich hab’ auf einen Schlag meine Eltern verloren und noch viel mehr, zum Beispiel mein Lachen.“ Er fühlt sich alleingelassen – zum Beispiel von den Behörden: „Es fing damit an, dass ich am Tatort fragte: Wer macht denn jetzt die Wohnung sauber?“ Sein Bruder hatte ein wahres Blutbad angerichtet, und ihm habe man nur gesagt: „Sie können einen Tatort-Reiniger engagieren.“ Bloß: Der kostet 800 Euro die Stunde, „also hab’ ich mit meiner Frau und dessen Freundin alles selbst weggeschrubbt, den Gestank können Sie sich nicht vorstellen.“ Die durchtränkte Bettwäsche, die Möbel – alles brachte er zur Mülldeponie an der Lierfeldstraße, und dass er für die Beerdigung seiner Eltern selbst aufkommen musste, 16 000 Euro, versteht sich von selbst: „Dafür hab’ ich mein Auto verkauft.“

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Seine Eltern waren 65 und 62 Jahre alt, als sie starben. Erst ein Jahr zuvor hatten sie sich die Eigentumswohnung am Berthold-Beitz-Boulevard gekauft, als Altersvorsorge. Die Erben: Er, Peter F., und sein Bruder. „Doch bis der einen Vormund bekommt, wird es dauern, ich kann die Wohnung jetzt nicht verkaufen.“

„Meine Frau leidet unter Ängsten“

Peter F. berichtet, dass sein psychisch kranker Bruder in der Vergangenheit auch ihm und seiner Familie gedroht hatte: „Meine Frau leidet seitdem unter Ängsten, auch wenn mein Bruder jetzt nicht mehr in Freiheit kommt.“ Und die Tochter, die nach ihren Großeltern fragt? „Der haben wir erzählt, sie sind bei einem Unfall ums Leben gekommen, aber das Mädchen spürt natürlich, dass da noch was anderes ist. Das Kind ist total verändert.“

Peter F. hat sich seelsorgerischen Beistand gesucht, beim „Weißen Ring“ angerufen, der Organisation, die sich um Opfer von Verbrechen kümmert. Und trotzdem: „In mir ist eine Wahnsinns-Wut. Wenn ich nicht Kampfsport betreiben würde, wüsste ich nicht, wohin damit. Ich bin froh, dass ich meine Arbeit habe, sie lenkt mich ab.“ Er hat angefangen, sonntags in die Kirche zu gehen. „Das tut mir gut.“

Das Verhältnis zum Bruder war nie gut

Das Verhältnis zum Bruder war nie sonderlich gut, erzählt Peter F. „In unserer Familie hat sich immer alles um ihn gedreht, er hatte nie Freunde, war ein Opfer, hat unseren Eltern immer Sorgen bereitet.“ Nach der Hauptschule und der Lehre zum Speditions-Kaufmann sei er an falsche Bekannte geraten, trank sechs Flaschen Bier und Kümmerling am Tag, mindestens, und irgendwann ging es nur noch um Kokain, das er sich in einem Café in Altendorf besorgte, bei einem Dealer, der sich bloß „King“ nannte. „Da hing er immer ‘rum, auch in der Wohnung eines anderen Süchtigen. Und er hat immer öfter völligen Unsinn erzählt, das waren die Drogen, die haben ihn kaputtgemacht.“ Zuletzt war das so im Gefängnis in Holsterhausen nach der Tat, wo Peter F. seinen Bruder besuchte.

Der Richter sagte zu ihm nach der Bekanntgabe des Urteils: „Ihr Bruder ist nicht kriminell, sondern schwer krank.“ – „Das ist für mich kein Trost“, sagt Peter F.