Essen. . Es zeichnet sich ab, dass die verkürzte Schulzeit an Gymnasien (G8) nirgendwo in Essen Bestand haben wird. Auch wenn offizielle Beschlüsse noch fehlen.

  • Schulleiter in allen Stadtteilen machen die Erfahrung: Eltern wollen wieder längere Schulzeit
  • In den Lehrerzimmern wird das Thema durchaus noch kontrovers diskutiert – denn vieles ist noch unklar
  • Allein der sich abzeichnende Raum- und Lehrermangel, den G9 bringen wird, ist ein Hindernis

Eltern von Grundschulkindern können davon ausgehen, dass alle Gymnasien in Essen ab dem Schuljahr 2019/20 wieder zur längeren Schulzeit, dem Abitur nach neun Jahren („G9“), zurückkehren. Es zeichnet sich ab, dass das „Turbo-Abi“, die verkürzte, achtjährige Schulzeit, nirgendwo Bestand haben wird. Das ergab eine aktuelle Umfrage unter Schulleitern – auch wenn sich längst noch nicht alle eindeutig äußern wollen.

Die kirchlichen Gymnasien hatten sich bereits positioniert zugunsten einer Rückkehr zu „G9“ - vorbehaltlich der Richtlinien, hieß es. Denn bislang gibt es weder Gesetzentwürfe noch klare Vorgaben, wie die Abkehr vom Turbo-Abi, das im Jahr 2005 eingeführt wurde, umgesetzt werden soll. Entscheiden muss jede Schule individuell in ihrer Schulkonferenz – einem Gremium, das aus jeweils sechs Lehrern, Schülern und Eltern besteht.

Zwei Gründe machen ein Festhalten an der verkürzten Schulzeit derzeit überall unwahrscheinlich. Erstens: „Wir stellen fest, dass der Elternwille eindeutig eine längere Schulzeit bevorzugt“, sagt Felicitas Schönau, Chefin am Gymnasium Werden. Diese Erfahrung wird derzeit an so gut wie allen Gymnasien gemacht – in allen Stadtteilen. Nicola Haas, Leiterin des Goethe-Gymnasiums in Bredeney, ergänzt: „Die Tendenz zu G9 ist eindeutig zu erkennen – auch bei den Eltern, die sich bislang zufrieden über G8 geäußert haben.“

Sehr hohe Hürde für „G8“ in der Schulkonferenz

Zweitens: Um weiter das „Turbo-Abi“ anbieten zu können, wird in der Schulkonferenz eine „Zwei-Drittel-Mehrheit plus eine Stimme“ benötigt. Die „plus eins“-Regel soll verhindern, dass die Vertretergruppen sich gegenseitig ausspielen können. „Ich sehe derzeit nicht, dass diese notwendige Mehrheit für G8 zustandekommt“, sagt Thorsten Korthaus, Leiter des Rüttenscheider Maria-Wächtler-Gymnasiums (MWG). Diese Einschätzung teilen sehr viele Schulleiter.

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Eindeutig positioniert hat sich bereits das Mädchengymnasium Borbeck (MGB), das intern schon erste Beschlüsse für eine Rückkehr zur längeren Schulzeit verabschiedet hat: „So sagen wir das auch den Eltern bei den Info-Abenden und ‘Tagen der offenen Tür“, sagt Schulleiterin Jutta Reimann.

Andere halten sich noch stärker bedeckt: „So lange kein Beschluss vorliegt, können wir nichts prognostizieren“, sagt Christel Breimhorst, die Chefin des Gymnasiums an der Wolfskuhle (Steele).

Grundsätzlich betonen Schulleiter, dass „G8“ zwölf Jahre nach der Einführung mittlerweile durchaus rundläuft – aber: „Die Eltern wollen wieder mehr Zeit zum Lernen für ihre Kinder, und Eltern sind eine sehr wichtige Gruppe in der Schulgemeinde“, sagt Matthias Rink vom Grashof-Gymnasium in Bredeney.

Unklar ist, was aus der zweiten Fremdsprache wird

Doch in den Lehrerzimmern wird durchaus kontrovers diskutiert – besonders kritisch sehen viele Pädagogen, dass noch gar nicht klar ist, was aus der zweiten Fremdsprache wird. Ihre Einführung wurde mit dem Turbo-Abi auf Jahrgang sechs vorgezogen – ob sie mit dem neuen „G9“ wieder erst in der siebten Klasse startet, ist offen.

„Auch Fragen der Übermittagsbetreuung stellen sich neu, ganz abgesehen vom Lehrer- und Raummangel“, erklärt Stefan Uhlmann, Leiter des Carl-Humann-Gymnasiums. „Im Sinne der Angebots-Vielfalt in der gesamten Stadt wäre es sicher wünschenswert, wenn ein G8-Angebot bestehen bliebe“, sagt Berthold Urch, der Sprecher der Essener Schulleiter. Doch auch er erkennt: „Die Tendenz zu G9 ist eindeutig.“

Nicht zuletzt die Schüler selbst sind es, die oft für „G9“ plädieren: „Viele holen sich nachher das Jahr zurück durch ein Jahr Ausland oder freiwillige Dienste – etwas, das nichts mit Schule oder Uni zu tun hat“, hat Felicitas Schönau beobachtet.