Essen. Ridda Martini erinnert sich an Stress und eine historische Situation. Als klar wurde dass es nicht ohne Zeltstände geht, wurde es turbulent.
Es gab Zeiten, da galt Ridda Martini in Essen als Mister Asyl. Damals betrieb die hier ansässige Firma European Homecare die meisten Flüchtlingsheime in der Stadt und weitere bundesweit. EHC sah sich regelmäßig dem Vorwurf ausgesetzt, am Elend anderer zu verdienen und musste die Verantwortung für den Folterskandal in einem Heim in Burbach übernehmen. Als EHC-Regionalleiter kämpfte Martini nicht nur mit der Aufgabe, Tausende Flüchtlinge in Essen unterzubringen, sondern auch mit bösen Anfeindungen.
Dabei verstand sich Martini, der aus einer deutsch-syrischen Familie stammt, auch als Mittler zwischen Neuankömmlingen und verunsicherten Nachbarn. Auf jeder Bürgerversammlung stellte er sich Fragen und Vorwürfen. „Ich mache diesen Beruf auch aus idealistischen Motiven, nicht weil ich auf Lob oder Applaus hoffe.“
Entsetzt über den Zustand einiger Notunterkünfte
Als im Jahr 2015 klar wurde, dass auch Essen nicht ohne Zeltstädte auskommen werde, sah sich Martini Notunterkünfte andernorts an und war entsetzt: „Da stand in einem riesigen Zelt Feldbett an Feldbett.“ Mit Trennwänden habe er hier ein Minimum an Privatsphäre herstellen wollen. Von Standort zu Standort habe man die Zelte verbessert. Dann kam Karnap.
Die Maxi-Zeltstadt mit knapp 700 Plätzen wurde von Anwohnern ebenso abgelehnt wie von Wohlfahrtsverbänden, nirgends sei der Druck schlimmer gewesen, sagt Martini heute. Zumal er auch bei einigen Bewohnern eine „irritierende Anspruchshaltung“ erlebt habe: „Die protestierten für Wohnungen, die es nicht gab.“
Häufig sei er zum Streitschlichten in die Unterkunft gefahren, auch nachts. In Karnap sei er beschimpft und bedroht worden, „aber es gab auch Leute, die uns zur Seite gesprungen sind“. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise habe er sich ein Bett ins Büro gestellt.
Dankbar für die Zeit – trotz extremer Belastung
Schlafmangel, Stress, Beschimpfungen und eine Belastungsprobe für seine Familie – trotzdem sei er dankbar für diese Zeit: „Wir haben eine historische Situation erlebt, und ich durfte sie an vorderster Stelle mitgestalten.“ Er habe unter Hochdruck Lösungen finden müssen, tolle Menschen kennengelernt, sich weiterentwickelt.
Seit April 2017 ist Ridda Martini Vorstand der EHC-Stiftung für Integration. Das klingt nach geregelteren Bürozeiten, aber: „Da geht nichts mit Ungeduld – Integration ist eine Generationen-Aufgabe.“