Essen. Stella Curci war mittendrin, als in Karnap die Stimmung in der Flüchtlingsfrage kippte. Sie wollte ein anders Gesicht des Stadtteils zeigen.
Etwas geriet ins Rutschen in jenem Herbst 2015, als die Flüchtlingszahlen sprunghaft stiegen, als die Stadt einen Krisenstab einberief und eilends Zeltdörfer aufschlug, das erste im September am Altenbergshof im Nordviertel. Mit Karnap kippte die Lage: mit der für fast 700 Bewohner gedachten Zeltstadt im Mathias-Stinnes-Stadion.
„Die Stimmung war gleich zu Anfang so feindlich und aggressiv, dass ich die Fluchtwege im Blick behalten habe“, sagt die damals 28 Jahre alte Stella Curci über die Bürgerversammlung, bei der Sozialdezernent Peter Renzel niedergebrüllt worden sei. „Da waren Leute, die ich schon seit meiner Kindheit kannte, die hetzten und äußerten dabei Vorurteile, die ich nicht für möglich gehalten hätte.“ Die Erzieherin ließ sich davon nicht beirren, engagierte sich beim Runden Tisch, betreute Flüchtlingskinder, kassierte Spott und Beschimpfungen. „Ich würde das immer wieder machen, schon um denen, die uns Gutmenschen nennen, Ätsch zu sagen.“
70 Familien leben noch in der Zeltsadt in Karnap
Tag für Tag fahre sie heute am Stinnes-Stadion vorbei und denke: „700 Menschen auf so wenig Platz!“ Auch sie fand die Zeltstadt überdimensioniert, die Aufgabe für die gut 80 Ehrenamtlichen zu groß. Manchmal hätte sie sich gern vor Erschöpfung ins Bett geschmissen, „aber ich bin froh über jede einzelne Familie, die ich heute sehe, die mich begrüßt und umarmt“. Jeder, dem sie beim Ankommen ein wenig geholfen habe, mache sie stolz.
70 Familien aus dem Zeltdorf leben bis heute im Stadtteil. Auch die Vorurteile gegen sie seien lebendig: „Mancher meint, die bekommen bessere Wohnungen oder zu viel Geld – die AfD schürt diesen Unmut.“ In der Außenwahrnehmung sei Karnap nur der gescheiterte Stadtteil, in dem der Ex-Sozialdemokrat Guido Reil für die AfD ein Spitzenwahlergebnis erzielt hat.
Stella Curci lebt in einem anderen Karnap, und der Herbst 2015 brachte für sie ja nicht nur menschliche Enttäuschungen. In Michael Schwamborn vom Essener Bürgerbündnis etwa fand sie einen unvermuteten Mitstreiter. Die junge Frau und der Mittfünfziger hatten „keine Berührungspunkte“, bis sie sich am Runden Tisch trafen und mit vielen Mitstreitern Kinderbetreuung oder Sportangebote organisierten, Deutschkenntnisse vermittelte – und Werte. „Als wir merkten, dass einige Familien ihre Töchter nicht mit zu Ausflügen gehen ließen, haben wir gesagt: Entweder die Mädchen kommen mit oder die Jungen bleiben auch hier“, sagt Schwamborn. Trotzdem fürchtet Stella Curci: „Mit der Pubertät kommt für viele Mädchen ein Kultur-Konflikt.“
Senioren kommen mit Flüchtlingsfamilien zusammen
Umso wichtiger sei es, Begegnungen zu schaffen wie sie der Runde Tisch bis heute anstößt: Etwa mit dem monatlichen Café, wo Senioren mit Flüchtlingsfamilien ins Gespräch kommen, wo im besten Fall Freundschaften entstehen sollen. Als Angebot für alle Karnaper sei das gedacht, aber: Der Zulauf könne noch besser sein.
Aus familiären Gründen und schweren Herzens hat sich Stella Curci aus der Flüchtlingshilfe ziemlich zurückgezogen. Für Karnap wünscht sie sich, dass die Wunden vom Herbst 2015 verheilen.