Essen. . Eine der größten Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, das Franz Sales Haus, hat ihren Leiter verabschiedet. Was die größte Krise war.

  • Im Jahr 2010 kam heraus, dass vor Jahrzehnten Heimbewohner gequält und missbraucht wurden
  • Der scheidende Haus-Direktor bezeichnet diese Zeit nach wie vor als „schwerste Krise“ des Franz Sales Hauses
  • Dabei erwies er sich als exzellenter Krisenmanager und setzte konsequent auf Aufklärung

„Betriebswirt mit der sozialen Ader“ – so ist Günter Oelscher zu seinem Abschied genannt worden. Das ist sicher korrekt, wird dem 65-Jährigen wohl aber nur wenig gerecht. Denn Oelscher, der 25 Jahre lang die Geschicke des Franz Sales Hauses leitete, konnte weit mehr erwirken als eine vorzeigbare Bilanz, die in bloßen Zahlen ablesbar ist.

Der Vorstandsvorsitzende der Behinderteneinrichtung ist am Dienstag mit einem großen Empfang verabschiedet worden. Anfang Juni übernimmt Hubert Vornholt seine Nachfolge. Der Diplom-Kaufmann gehört seit Anfang des Jahres zum Vorstand des Sales-Hauses; zuvor war er 18 Jahre lang für ein Heim im sauerländischen Bigge tätig.

Nachfolger übernimmt Amt im Juni

„Betriebswirt mit sozialer Ader“, so nannte der Sozialdezernent des Landschaftsverbands Rheinland (LVR), Dirk Lewandrowski, den scheidenden Chef. „In den 25 Jahren hat sich die Behindertenhilfe stark verändert, und das Franz Sales Haus war stets mittendrin und häufig an der Spitze“, erklärte Lewandrowski.

Tatsächlich hat Oelscher, der gelernte Betriebswirt, das Franz Sales Haus von einer reinen Wohn-Einrichtung in ein stark ausdifferenziertes Unternehmen verwandelt. Die Zahl der Mitarbeiter stieg in seiner Amtszeit von damals 400 auf heute 1600. Das Franz Sales Haus ist nicht nur der bekannte Bau an der Steeler Straße, sondern es gibt Sport- und Werkstätten, Höfe, nicht zuletzt das „Hotel Franz“, in dem auch Menschen mit Behinderung arbeiten: 40 Standorte zählt Franz Sales heute, die meisten davon innerhalb der Essener Stadtgrenzen.

Am meisten zählte „die Begeisterung der Mitarbeiter“

Was für ihn am meisten zählt, auch noch nach 25 Jahren? „Die Begeisterung der Mitarbeiter“, sagte Oelscher am Rande seines Abschieds. Die größte Krise? „Das war, als die alten Geschichten aus den Sechziger Jahren bekannt wurden.“

Das Franz Sales Haus stand plötzlich bundesweit in den Schlagzeilen, als Anfang 2010 herauskam, dass Heimkinder in den Nachkriegsjahren bis 1970 von Ordensschwestern brutal missbraucht und gequält wurden. Was Oelscher heute immer noch als größte Krise des Hauses bezeichnet, geriet letztendlich zu seinem persönlichen Gesellenstück in Sachen Krisenmanagement: Von Anfang setzte Oelscher auf Offenheit und Aufklärung, richtete einen runden Tisch ein mit Betroffenen und psychologischen Experten, organisierte Plätze in Traumatherapien und holte sich wissenschaftlichen Rat von der Ruhr-Uni Bochum. Am Ende stand eine zweibändige Dokumentation, die die dunklen Kapitel des Hauses benennt, analysiert, auswertet.

Aufarbeitung gilt bundesweit als Vorbild

Nicht nur für diesen Akt der Transparenz und – wenn das überhaupt möglich ist – Wiedergutmachung, der bundesweit in der katholischen Kirche als Referenz gelten dürfte, hat sich Oelscher einen Namen gemacht. Die Schar der Gäste, die am Dienstag zum Abschied kamen, war jedenfalls beeindruckend groß; nach einem Pontifikalamt mit Ruhrbischof Overbeck standen die Männer und Frauen, die Oelscher und seiner Frau persönlich die Hand geben wollten, lange Schlange. Und jetzt? „Fahr’ ich erst mal nach Ostfriesland, Urlaub machen“, sagte Oelscher lächelnd. Anschließend wolle er sich einigen Dingen widmen; er habe „viel vor“. Was auch immer es sein wird: Es wird ihm wohl gelingen. Alles Gute!