Essen. Regisseur Vincent Boussard inszeniert am Essener Aalto-Theater „Le Prophète“ von Giacomo Meyerbeer. Das Werk hat aktuelle Bezüge.

Große Bilder, überbordende Effekte, technische Innovationen: Als Giacomo Meyerbeers „Prophet“ 1849 in Paris seine Uraufführungen feierte, war die Grand Opéra das Maß der Bühnenunterhaltung. Das Publikum von damals wollte nicht nur emotionalen Nervenkitzel und aufrüttelnde Musik, sondern auch die große Show.

Und Meyerbeer lieferte: Das große Schlittschuhballett und der erstmals mit elektrischem Licht erzeugte Bühnen-Sonnenaufgang begeisterten das damalige Publikum. „Le Prophète“ war das, was man heute einen Blockbuster nennen würde, ein Kassenschlager. Wie die Geschichte aus der Zeit der christlichen Reformationsbewegung heute noch funktioniert, überprüft Regisseur Vincent Boussard ab dem 9. April im Essener Aalto-Theater.

Kein Spiegelbild der aktuellen Nachrichtenlage

„Le Prophète“, das ist eine Geschichte von Revolte und Radikalisierung, von Willkürherrschaft und religiösem Fundamentalismus. Ein Stück mit hohem Gegenwartsbezug, ohne Frage. Für Boussard war es regelrecht „ein Schock“, die Aktualität herauszulesen.

Und trotzdem möchte er in seiner Produktion, die als das aufwändigste Projekt der diesjährigen Spielzeit mit Unterstützung der Brost-Stiftung auf die Bühne kommt, keinen direkten Bezug auf die aktuelle Nachrichtenlage nehmen mit all den Schlagzeilen über Attentäter, Religionskrieger und Salafisten.

Mehr Spielraum für Interpretationen

„Mein Job ist es nicht, dem Zuschauer zu sagen, was er denken soll“, dämpft Boussard Erwartungen an eine allzu offensichtliche Übertragung ins Hier und Jetzt. Der Franzose möchte vielmehr Spielraum lassen für Interpretationen, was dieses Stück heute mit uns zu tun hat.

Die historische Vorlage führt ins sogenannte Täuferreich von Münster im 16. Jahrhundert. Im Mittelpunkt steht Johan von Leiden, selbsternannter König und gleichzeitig Revolutionsheld wider Willen. Wie einer zum radikalen Vorkämpfer wird, der zunächst vor allem sein privates Glück bedroht sieht, davon erzählt „Le Prophète“ in aufwendigen und manchmal auch ausufernden Bildern.

Im Essener Aalto-Theater gibt es eine eigene Fassung des Stücks „Le Prophète“. Foto: Michael Gohl Eigene Essener Fassung im Aalto-Theater

Eine Vorlage, die nach Verdichtung ruft. „Wir können nicht die „Grand Opéra wie damals zeigen. Die Erwartung des Publikums ist heute eine ganz andere,“ weiß Boussard. Das einst auf eine halbe Stunde angelegte Ballett wird auf acht Minuten verkürzt und auch sonst arbeitet Boussard mit einer eigenen Essener Fassung an der Spielfähigkeit, ohne freilich die Dimensionen dieses Werkes mit seinem immensen Personalaufwand, den Kinderchören und einem musikalischen Staraufgebot zu verhehlen.

Die Herausforderung sei, diese spektakuläre Grand Opéra auf die Bühne zu bringen, ohne museal zu sein, aber eben auch ohne sie der Destruktion zu opfern. Seine Essener Inszenierung suche eine „dritte Richtung zwischen Regietheater und Museum“, sagt Vincent Boussard lächelnd.

Boussard mag Wiederentdeckungen

Für Essen ist „Le Prophète“ in jedem Fall eine besondere Premiere, denn Meyerbeer stand im Aalto noch niemals auf dem Programm. Für Boussard ist es Beleg einer Meyerbeer-Renaissance, die diesen einst so gefeierten Komponistenstar seit einigen Jahren wieder auf die deutschen Spielpläne bringt.

Vincent Boussard mag solche Wiederentdeckungen. Archaik und Modernismus zusammenzubringen, dafür biete die Oper mehr Möglichkeiten als jede andere Kunstform.

Professor rekonstruiert historische Opernfassung

Die Premiere der Meyerbeer-Oper „Le Prophète“ am 9. April, 16.30 Uhr, ist Schluss- und Höhepunkt der TUP-Festtage unter dem Motto „Glaube, Macht, Kunst“. Das Aalto-Theater leistet damit auch einen künstlerischen Beitrag zum Reformationsjahr 2017. Historische Vorlage für das Libretto von Eugène Scribe ist das sogenannte Täuferreich von Münster im 16. Jahrhundert.

Meyerbeers Jean de Leyde ist scheinbar Täter und Opfer zugleich. Die Willkür, mit der von der Obrigkeit seine geplante Hochzeit unterbunden wird, hebt seine Welt aus den Angeln. Er lässt sich von den Wiedertäufern rekrutieren, wird zum Propheten proklamiert und steigt zur Gallionsfigur dieser Bewegung auf.

Intensiv beschäftigt mit dem Werk hat sich in den vergangenen Jahren bereits der Essener Hochschul-Professor Matthias Brzoska, als er Meyerbeers Oper „Le Prophète“ in seiner ursprünglichen Fassung rekonstruierte und damit ein kleines Stück Musikgeschichte schrieb. Am heutigen Mittwoch, 5. April, 16.30 Uhr, gibt der Musikwissenschaftler der Folkwang Universität der Künste im Aalto-Foyer einen Einblick in seine langjährige und aufwändige Arbeit an der Neuedition des Werkes. Ergänzt wird der Vortrag mit Musikbeispielen, am Flügel: Christopher Bruckman.