Essen. Die Essener Sikh-Gemeinde hat das Urteil gegen die Tempelbomber als gut und gerecht begrüßt. Ein Jahr nach dem Anschlag ringt man um Normalität.
Am Tag des Urteils sind sie bestürmt worden: Ob die Strafen gegen die sogenannten Tempelbomber hoch genug oder zu hart seien, ob sie den drei jugendlichen Salafisten, die im April 2016 eine selbstgebastelte Bombe vor ihrem Tempel an der Bersonstraße zündeten, verzeihen könnten, ob ihre Gemeinde nun zur Ruhe komme. Fünf Tage hat sich die Sikh-Gemeinde Zeit gelassen, um an diesem Sonntag doch noch Antworten zu geben.
Die erste Antwort ist diese Einladung selbst: Am Sonntag kommen Hunderte Gläubige in den Gurdwara Nanaksar Satsang Darbar-Tempel im Nordviertel, angereist aus Düsseldorf, Dortmund, Neuss oder Wuppertal. Die Fassade ihres Tempels ist noch zerstört, doch drinnen wird Tee getrunken, gegessen, geredet und gebetet. Das Gemeindeleben geht weiter. „Die Sikh-Religion ist offen, hier stehen alle Türen offen“, sagt Mohinder Singh vom Vorstand. Diese Offenheit mögen sie sich nicht rauben lassen, auch wenn der Anschlag sie tief erschüttert hat.
„Ob den Tätern verziehen wird, liegt bei Gott“
Die Frage, ob sie den Tätern verzeihen können, weist Singh zurück: „Was diese Jungen gemacht haben, war schlimm. Ob es verziehen wird oder nicht, liegt nicht bei uns – das lassen wir bei Gott.“ Zur irdischen Gerichtsbarkeit äußert sich Singh: „Wir sind mit dem Urteil zufrieden. Der Staat hat das gut und gerecht gemacht.“ Man müsse nun abwarten, ob Rechtsmittel eingelegt werden oder das Urteil rechtskräftig wird. Ein banges Warten.
Schließlich ringen sie noch mit den Folgen dieses Anschlags, der ein Angriff auf ihre Ideale gewesen ist. „Wir sind eine Religion, die alle anderen Religionen respektiert“, sagt Inderjet-Singh Tatla. Das Heilige Buch der Sikhs würdige auch muslimische Persönlichkeiten, und mit der benachbarten Alfaruk-Moschee habe es nie Konflikte gegeben. Es gebe Sikh-Gemeinden, in denen über die Politik in den Heimatländern geredet werde, doch an der Bersonstraße sei Politik nie ein Thema gewesen: „Umso größer war der Schock über diesen Anschlag.“
„Am schlimmsten sind die Wunden an seiner Seele“
Ähnlich schildert es Preet Singh, der in Essen groß geworden ist, die Gesamtschule Bockmühle besuchte, Informatik studierte. Als Junge aus Altendorf habe er viele muslimische Freunde. Umso unfassbarer war für ihn der Anschlag am Tag einer Hochzeitsfeier, an der auch viele Kinder teilnahmen. Bis heute seien viele von ihnen verstört. Ebenso wie der schwer verletzte Priester, der noch an Krücken geht und sein Amt nicht ausüben kann, weil der Schneidersitz zu schmerzhaft ist. „Noch schlimmer sind die Wunden seiner Seele; er wird eine Therapie machen“, sagt Inderjet-Singh Tatla.
Als Dolmetscher für den verletzten Priester wählte die Gemeinde den jungen Preet Singh aus, wappnete ihn für den Auftritt vor Gericht. „Man sagte mir, ich solle ruhig bleiben, was nicht leicht ist, wenn unsere Religion bespuckt wird.“ Also lasen ihm die älteren Gemeindemitglieder Sätze aus ihrem Heiligen Buch vor. Mahnungen zu Friedfertigkeit, Toleranz und Offenheit.
„Ich möchte von jeder Religion lernen“
Einige dieser Sätze hat die Gemeinde auch auf große Banner drucken lassen, und an diesem Sonntag im Hof aufgehängt, so dass sich die Besucher vertraut machen können mit ihrer Religion. Die Sikhs machten das auch umgekehrt, erzählt Inderjet-Singh Tatla. So besuche er mit seinen Kindern Kirchen, Moscheen und Synagogen: „Ich möchte von jeder Religion lernen.“